Die menschliche Atmung ist eine fundamentale Lebensfunktion, die auf den ersten Blick simpel erscheint, doch bei genauerem Hinsehen ein komplexes Zusammenspiel aus biologischen und neurologischen Prozessen darstellt. Kürzlich erregte eine Studie internationales Interesse, die zeigte, dass Atemmuster so individuell sind, dass sie mit einer Genauigkeit von 97 % zur Identifikation von Menschen genutzt werden können. Diese Entdeckung könnte nicht nur völlig neue Sicherheits- und Authentifizierungsverfahren ermöglichen, sondern auch weitreichende Auswirkungen auf die medizinische Diagnostik und das Verständnis menschlicher Gesundheit haben. Forscher der Weizmann-Instituts in Israel führten die Studie durch, bei der 97 freiwillige Teilnehmer mit speziellen tragbaren Geräten ausgestattet wurden, die an jeder Nasenöffnung die Ein- und Ausatmung überwachten. Die Geräte zeichneten die Atmung über einen Zeitraum von 24 Stunden im Alltag der Probanden auf, einschließlich Phasen während des Schlafs.
Die Aufgabe war es, Muster in der Atmung zu erkennen, die sich mit herkömmlichen biometrischen Methoden vergleichen lassen können. Die Auswertung zeigte, dass das Atemmuster – definiert durch spezifische zeitliche Merkmale wie Pausen vor und nach der Einatmung, die Länge der Atemzüge sowie deren Variabilität – bei jedem Menschen einzigartig ist, ähnlich einem Fingerabdruck. Diese sogenannte „respiratorische Signatur“ lieferte eine zuverlässige Identifikation mit einer Genauigkeit von annähernd 97 %. Besonders bemerkenswert war, dass sich diese Muster auch über einen Zeitraum von zwei Jahren kaum veränderten, was für die Stabilität und Reproduzierbarkeit der Atemmerkmale spricht. Im Kern liegt der Einzigartigkeit der Atemmuster das Zusammenspiel verschiedener Gehirnregionen zugrunde, die die Atmung steuern.
Da das Gehirn bei jedem Menschen unterschiedliche Verbindungen und Funktionsweisen aufweist, spiegelt sich dies auch in den Atemrhythmen wider. Damit öffnet sich ein völlig neues Feld in der biometrischen Forschung, das über Fingerabdrücke, Gesichtserkennung oder Iris-Scans hinausgeht. Die Studie lieferten nicht nur Erkenntnisse zur Identifikation, sondern ebenfalls interessante Verknüpfungen zwischen Atemmustern und mentaler sowie physischer Gesundheit. So zeigte sich, dass Menschen mit höherem Angstempfinden stärkere Variabilität in den Atempausen aufwiesen. Der Körper gibt demnach subtile Signale über den Geisteszustand über die Atmung preis, die mit modernen Analyseverfahren ausgelesen werden können.
Ebenso wurde ein Zusammenhang zwischen der respiratorischen Signatur und dem Body-Mass-Index festgestellt, was auf die Möglichkeit einer erweiterten Gesundheitsüberwachung durch Atemmuster hindeutet. Neben der Identifikation und Gesundheitsüberwachung sehen Wissenschaftler auch großes Potenzial für die medizinische Diagnostik. Atemanalysen existieren bereits in der Erkennung bestimmter Stoffwechselprodukte im Atem, die auf Krankheiten hinweisen können. Die Kombination dieser chemischen Angaben mit der Atemmustererkennung könnte die Diagnostik robuster und präziser machen. Beispielsweise könnten Atemtests beschleunigt und non-invasiver durchgeführt werden, was für Patienten eine erhebliche Erleichterung bedeutet.
Jedoch steht die Anwendung der Atemmusteranalyse in der Praxis noch vor Herausforderungen. Die Geräte, die zur genauen Messung notwendig sind, müssen über längere Zeiten getragen werden, was die Akzeptanz bei Nutzern beeinträchtigen könnte. Die Forschung arbeitet derzeit an komfortableren, weniger invasiven Sensoren, die dennoch präzise Daten erfassen können. Nicht zuletzt wirft diese Entwicklung auch ethische und datenschutzrechtliche Fragen auf. Die eindeutige Identifizierung von Personen über eine so unscheinbare Eigenschaft wie die Atemweise könnte erhebliche Auswirkungen auf die Privatsphäre haben.