IKEA ist seit Jahrzehnten bekannt für seine preiswerten, praktischen Möbel zum Selbstaufbau, die beeindruckenden blauen Einrichtungshäuser und nicht zuletzt die beliebten schwedischen Fleischbällchen. Weniger bekannt ist jedoch, dass das Unternehmen 2024 auch im digitalen Marketing zu den Vorreitern zählt. Insbesondere im Bereich des E-Mail-Marketings hat IKEA neue Wege beschritten, um die Kundenansprache noch zielgerichteter und personalisierter zu gestalten. Dabei spielt die Kombination aus großen Sprachmodellen (Large Language Models, LLMs) und moderner Transformer-Technologie eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des sogenannten Next-Best-Email-Ansatzes. Dies trägt dazu bei, Aufmerksamkeit zu bündeln und Kunden mit den für sie relevantesten Angeboten und Inhalten zu erreichen.
Dieser Artikel beleuchtet die zugrunde liegende Technik, die Herausforderungen und den Erfolg dieser zukunftsweisenden Strategie im Detail. Die Herausforderung bei der Personalisierung von Marketing-E-Mails liegt darin, dass IKEA eine vielfältige Kundschaft bedient, deren Präferenzen und Bedürfnisse sehr unterschiedlich sind. Kunden befinden sich in unterschiedlichen Phasen ihrer Kaufreise und interessieren sich gleichzeitig für viele verschiedene Produktkategorien, von Möbeln über Küchenplanung bis hin zu Wohnaccessoires. Dies erschwert die Gestaltung von massenhaft personalisierten E-Mail-Kampagnen. Eine hohe Relevanz der Inhalte ist jedoch entscheidend, um Öffnungsraten, Klickzahlen und letztlich den Umsatz zu erhöhen.
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, testet IKEA seit 2024 ein neuartiges Empfehlungssystem, das sich an den individuellen Kundenverhalten orientiert und die sogenannte „Next-Best-Campaign“ für jeden Nutzer identifiziert. Das System integriert mehrere innovative Technologien: Zum einen werden mit einem vortrainierten großen Sprachmodell namens BLOOM die Betreffzeilen der E-Mails in kontextsensitiven, mehrsprachigen Embeddings verarbeitet. Dies ermöglicht eine tiefere semantische Analyse des Inhalts und verbessert die Passgenauigkeit der Inhalte für verschiedene Zielgruppen in unterschiedlichen Märkten. Zum anderen nutzt IKEA die Transformer-Architektur XLNet, die eigens für die Analyse von komplexen, sequenziellen Kundendaten angepasst wurde. Diese Architektur kann zeitliche Abfolgen von Kundenaktionen wie E-Mail-Öffnungen, Klicks, Web-Suchanfragen oder Einkaufsverhalten in Webshops präzise erfassen und zwischen kurzfristigen und langfristigen Trends in den Kundenvorlieben unterscheiden.
Die Fähigkeit des Transformers, Abhängigkeiten über längere Zeiträume zu erkennen, bietet klare Vorteile gegenüber traditionellen Modellen wie Word2Vec oder einfachen Recurrent Neural Networks. Darüber hinaus verfolgt das Modell einen multi-tasking Ansatz, der zwei zentrale Vorhersageziele kombiniert: Die Prognose des nächsten besten Produkts beziehungsweise der nächsten aufmerksamkeitswirksamen E-Mail-Kampagne (Next-Item Prediction) sowie eine Regressionsaufgabe, die das Engagement das heißt die voraussichtliche Interaktion des Kunden mit der ausgespielten Kampagne quantifiziert. Dieser doppelte Lernansatz optimiert sowohl die Treffgenauigkeit der Empfehlungen als auch das Verständnis dafür, wie stark bestimmte Kampagnen die Zielgruppen ansprechen. Die Datenbasis für das Modell setzt sich aus mehreren Quellen zusammen, die auf Kundeninteraktionen mit digitalen Angeboten basieren. Zum einen werden Websessions erfasst, also alle relevanten Kundenaktionen im IKEA Online-Shop, von der Produktsuche über das Betrachten von Artikeln bis hin zur Nutzung interaktiver Planungswerkzeuge.
Zum anderen werden die Reaktionen auf zuvor versendete E-Mail-Kampagnen dokumentiert. Dabei gibt es vielfältige Interaktionstypen, darunter Klicks als stark positives Signal, Öffnungen als schwächere positive Signale, aber auch negative Signale wie Beschwerden oder Abmeldungen vom Newsletter. Diese Signale werden anhand eines numerischen Wertes gewichtet und fließen als kontinuierliche Eingabefaktoren in das System ein. Für die Umsetzung der real-time tauglichen Verarbeitung und das Training des Modells nutzt IKEA eine hochskalierbare Infrastruktur. Insbesondere kommen NVIDIA-Tesla A100 GPUs zum Einsatz, die in der Cloud-Umgebung von Google Cloud Platform (GCP) über die Vertex AI Plattform betrieben werden.
Diese Kombination sichert effiziente Verarbeitung großer Datenmengen und schnelle Trainingszeiten. Zum Einsatz kommt eine Ensemble-Struktur, welche sowohl NVTabular für die Vorverarbeitung von Features als auch die Transformers4Rec Framework in PyTorch verwendet. Die Anwendung der Triton Inference Server ermöglicht zudem skalierbare und performante Modell-Bereitstellung, auch wenn in der aktuellen Kampagne eher Batch Predictions genutzt werden. Die Wirksamkeit der modellbasierten Empfehlungen wird durch umfangreiche A/B-Tests validiert. Dabei wird die von der KI-Lösung ausgewählte Gruppe mit einer Kontrollgruppe verglichen, die nach bisherigen regelbasierten Systemen bedient wird.
Erste Ergebnisse zeigen, dass insbesondere bei den Top 10 empfohlenen Kampagnen die Klickrate um nahezu 29 Prozent gesteigert werden kann. Auch die Öffnungsrate verbessert sich zwar weniger deutlich, aber dennoch positiv. Dies spricht für eine effektivere Kundenansprache und die größere Relevanz der Inhalte aufgrund der präziseren, kundenindividuellen Auswahl. Ein zentraler Vorteil dieser modernisierten E-Mail-Marketingstrategie liegt in der Integration von mehrsprachigen Text-Embeddings durch BLOOM. Dies ist besonders relevant für ein globales Unternehmen wie IKEA, das seine Märkte in vielen Sprachräumen bedient.
Die bessere semantische Erfassung von Kampagneninhalten ermöglicht es, kulturelle und regionale Präferenzen gezielt zu berücksichtigen und so die Relevanz der E-Mails zu erhöhen. Die Kombination von transformerbasierten Modellen mit fortlaufender Berücksichtigung von Kundeninteraktionen im Session-Kontext stellt einen Paradigmenwechsel im Empfehlungsmarketing dar. Neben der reinen Produktplatzierung im Newsletter werden dynamisch aus dem Kundenverhalten die relevantesten, nächsten Aktionen vorhergesagt. Dies führt zu Marketingmaßnahmen, die nicht nur auf static Segmentierung basieren, sondern die Echtzeit-Bedürfnisse und Vorlieben abbilden. Neben der Steigerung der Engagement-Metriken trägt die Technologie auch zur besseren Nutzererfahrung bei.
Kunden erhalten gezielt Inhalte, die sie wirklich interessieren, wodurch die Flut unangemessener oder irrelevanter E-Mails reduziert wird. Gleichzeitig werden negative Reaktionen wie Abmeldungen oder Beschwerden minimiert, was für die langfristige Kundenbindung elementar ist. Die Erfahrungen von IKEA zeigen auch, dass eine Multi-Task-Lernarchitektur besonders hilfreich ist, um die Komplexität verschiedenartiger Kundenreaktionen simultan zu erfassen. Das gemeinsame Lernen verschiedener Zielvariablen führt zu stabileren Modellen mit besserer Generalisierung, was insbesondere bei variierenden Datenqualitäten und heterogenen Kundenverhalten von großem Nutzen ist. Abschließend lässt sich festhalten, dass IKEA im Jahr 2024 mit seiner innovativen E-Mail-Marketingplattform Maßstäbe in der Personalisierung und Kundenbindung setzt.
Die Verschmelzung von großen, multilingualen Sprachmodellen und transformerbasierten Sequenzlernmethoden bietet ein kraftvolles Instrument, um den Herausforderungen eines vielfältigen und dynamischen Kundenstamms zu begegnen. Zukünftig sind sogar noch umfassendere Anwendungen denkbar, die neben E-Mail auch andere digitale Kanäle integrieren und Echtzeit-Personalisierung auf allen Ebenen des Customer Journeys abbilden. Diese Entwicklung steht exemplarisch für eine neue Generation des datengetriebenen Marketings, die Künstliche Intelligenz nutzt, um Kundenverständnis und Kommunikation präziser, relevanter und nachhaltiger zu gestalten. Unternehmen, die diesen Weg konsequent beschreiten, sichern sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, erfreuen sich gesteigerter Kundenzufriedenheit und wirken dabei der zunehmenden Informationsüberflutung im digitalen Raum effektiv entgegen.