Texas steht kurz vor einer einschneidenden Veränderung im Bildungswesen, die über den Bundesstaat hinaus Aufmerksamkeit erregt: Ab September 2025 müssen alle öffentlichen Klassenzimmer die Zehn Gebote sichtbar ausstellen. Diese Maßnahme wurde durch die Unterzeichnung von Senate Bill 10 durch Gouverneur Greg Abbott offiziell in Kraft gesetzt. Dabei stößt das neue Gesetz auf scharfe Kritik wie auch auf großzügige Befürwortung – die Debatte um die richtige Rolle von Religion in öffentlichen Schulen kommt somit erneut in vollem Umfang auf die politische und gesellschaftliche Bühne. Die Verpflichtung zur Ausstellung der Zehn Gebote ist Teil einer breiteren Bewegung in Texas und anderen Bundesstaaten, die die Präsenz religiöser Inhalte im öffentlichen Schulsystem stärken möchte. Unterstützer argumentieren, dass die Zehn Gebote und das Christentum einen zentralen Bestandteil der amerikanischen Geschichte und Kultur darstellen.
Kritiker hingegen sehen eine Verletzung der verfassungsrechtlich garantierten Trennung von Kirche und Staat und warnen vor der Ausgrenzung von Schülern anderer Glaubensrichtungen oder ohne religiösen Hintergrund. Senate Bill 10 sieht vor, dass in jedem Klassenzimmer ein mindestens 16 x 20 Zoll großes Poster mit dem vollständigen Text der Zehn Gebote aufgehängt wird. Dabei sind keine zusätzlichen Texte oder ähnliche Plakate erlaubt. Der Gesetzgeber in Texas ist sich der kontroversen Natur dieses Vorhabens bewusst: Das Gesetz enthält eine Klausel, die vorsieht, dass der Staat die Kosten für Rechtsstreitigkeiten übernimmt, falls Schulbezirke verklagt werden sollten. Dies unterstreicht die zu erwartenden Herausforderungen gegenüber gerichtlichen Beschwerden.
Die Verabschiedung des Gesetzes verlief keineswegs reibungslos. Im Senat wurde es mit großer Mehrheit angenommen, doch im Repräsentantenhaus gab es heftige Debatten. Interessanterweise fand die erste Abstimmung am jüdischen Sabbat statt, was einige Abgeordnete wie James Talarico als ironisch und widersprüchlich hervorhoben, da die Zehn Gebote unter anderem das Arbeiten an diesem Tag verbieten. Trotz solcher Einwände wurde das Gesetz gegen den Widerstand der Opposition verabschiedet. Die Hintergründe dieser Gesetzesinitiative sind eng mit einem sich verschiebenden gesellschaftlichen Klima verbunden.
In den letzten Jahren hat sich in Texas und darüber hinaus eine politische und kulturelle Bewegung formiert, die die Trennung von Kirche und Staat als veraltet oder gar unrealistisch betrachtet. Im Fokus steht die Überzeugung, dass religiöse Werte, insbesondere aus dem Christentum, eine grundlegende Rolle im öffentlichen Leben und der Bildung spielen sollten. Bereits 2021 wurde in Texas ein Gesetz erlassen, das die Anbringung von „In God We Trust“-Schildern in Schulen erlaubt, wenn diese von privaten Stiftungen gespendet werden. 2024 genehmigte das Texas State Board of Education zudem Lehrmaterialien mit biblischen Inhalten. Darüber hinaus wird aktuell über weitere Maßnahmen diskutiert, darunter verpflichtende Gebetszeiten und die Nutzung christlich geprägter Jahreszählungsbegriffe wie „Anno Domini“ (im Jahr des Herrn) und „Before Christ“ (vor Christus) im Unterricht.
Die Befürworter des neuen Gesetzes sehen in der verpflichtenden Präsenz der Zehn Gebote einen Weg, der moralischen Entwicklung und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt neue Impulse zu verleihen. Sie kritisieren, dass in der Gesellschaft eine „Generation moralischen Verfalls“ heranwächst und erhoffen sich durch das Gesetz eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte und ethische Orientierung. Auf juristischer Ebene ist die Lage jedoch komplex. Ein vergleichbares Gesetz in Louisiana wurde kürzlich von einem Bundesgericht für verfassungswidrig erklärt, weil es gegen die grundgesetzliche Trennung von Kirche und Staat verstoße. Texas zieht in diesem Zusammenhang Berufung in Betracht, gestützt auf das aktuelle konservative Profil des Obersten Gerichtshofs der USA.
Insbesondere die Entscheidung im Fall Kennedy gegen Bremerton School District von 2019, in der ein Footballtrainer das Gebet nach Spielen anleiten durfte, wird von Befürwortern als Präzedenzfall betrachtet. Gleichwohl warnen Fachleute wie Robert Tuttle von der George Washington University davor, dass das ständige Sichtbarsein religiöser Texte in Klassenzimmern Schüler unter Druck setzt und als eine Form des religiösen Unterrichts angesehen werden kann, die der Staat nicht übernehmen sollte. Die Gefahr bestehe, dass Schüler sich ausgegrenzt fühlten oder mit Inhalten konfrontiert würden, die nicht altersgerecht seien, wie beispielsweise die Bedeutung des Adulteriums. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen kritisieren das Gesetz scharf. Sie betonen, dass öffentliche Schulen Orte der Neutralität sein müssen, an denen niemand aufgrund seiner religiösen Überzeugungen benachteiligt wird.
Der Grundsatz, dass staatliche Bildung nicht zur Vermittlung einer bestimmten Religion genutzt werden darf, sei essenziell für das Funktionieren einer pluralistischen Gesellschaft. In Texas spiegelt das Gesetz eine tiefgreifende politische Polarisierung wider. Republikaner in führenden Positionen wie Senator Phil King oder Abgeordnete wie Candy Noble setzen sich vehement für die Einführung der Zehn Gebote ein, während Demokraten und auch einige Republikaner, die Wert auf die Verfassung legen, widerwillig oder kritisch bleiben. Verdeckte Widersprüche manifestieren sich in Debatten, etwa der Hinweis von James Talarico auf die Verletzung des jüdischen Sabbats, der zugleich von denselben Abgeordneten ignoriert wird. Die gesellschaftlichen Reaktionen auf die neue Regelung sind breit gefächert.
In betroffenen Schulbezirken kommt es zu emotionalen Diskussionen zwischen Eltern, Lehrern und Schulleitungen. Manche begrüßen die Rückkehr zu traditionellen Werten, andere befürchten die verstärkte Ausgrenzung von Minderheiten und die rechtliche Unsicherheit. Die langfristigen Auswirkungen auf das Bildungsumfeld in Texas sind schwer abzuschätzen. Es wird sich zeigen, ob Schulen die Zehn Gebote als reines Symbol betrachten oder ob der Gesetzesbeschluss tiefgreifendere Veränderungen im Schulalltag anstoßen wird. Die Verpflichtung könnte zudem einen Präzedenzfall für ähnliche Maßnahmen in weiteren Bundesstaaten darstellen und die landesweite Debatte zu Religionsfreiheit und staatlicher Neutralität weiter befeuern.
Insgesamt zeigt der Fall Texas exemplarisch die Herausforderungen beim Umgang mit Religion in der staatlichen Bildung auf. Er fordert die Balance zwischen Respekt vor religiösen Traditionen und Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte aller Schüler heraus. Die kommenden Jahre dürften entscheidend dafür sein, wie sich dieses Spannungsfeld in den Vereinigten Staaten weiterentwickelt und welche Rolle die Justiz dabei spielt. Das Thema betrifft nicht nur Juristen und Politiker, sondern vor allem Schüler, Eltern und Pädagogen – also die Basis des Schulsystems. Es ist eine Erinnerung daran, dass Bildungspolitik stets die gesellschaftlichen Werte reflektiert und formt.
Ob Texas mit der Einführung der Zehn Gebote in Klassenzimmern einen Weg der Einheit oder der Spaltung einschlägt, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass die damit verbundenen Fragen zur Trennung von Kirche und Staat auch in Zukunft lebhaft diskutiert werden.