Der Oktopus fasziniert Wissenschaftler und Meeresliebhaber gleichermaßen aufgrund seiner hohen Intelligenz, seiner komplexen Verhaltensweisen und seiner erstaunlichen Anpassungsfähigkeit. Besonders bemerkenswert ist das Nervensystem dieser Tiere, das sich grundlegend von dem der meisten anderen Lebewesen unterscheidet. Unter all den Überraschungen, die diese Meeresbewohner bereithalten, sticht der Fall eines neunarmigen Oktopus hervor – ein außergewöhnliches Lebewesen, das Forschern wertvolle Einblicke in die neuronale Architektur und Regenerationsfähigkeiten der Kopffüßer erlaubt. Das Nervensystem des Oktopus ist beeindruckend komplex. Mit etwa 500 Millionen Neuronen verfügt er über ein Nervensystem, das mit dem von Hunden vergleichbar ist.
Was den Oktopus jedoch besonders einzigartig macht, ist seine dezentrale neuronale Organisation. Rund zwei Drittel dieser Neuronen befinden sich in den Armen des Tieres und nicht im zentralen Gehirn. Dies bedeutet, dass jeder Arm eine gewisse Autonomie besitzt und Bewegungen oder sensorische Wahrnehmungen selbstständig ausführen kann, ohne auf direkte Befehle vom zentralen Gehirn angewiesen zu sein. Diese Dezentralisierung ermöglicht es dem Oktopus, komplexe Verhaltensweisen effizient auszuführen. Die Arme können klettern, greifen, spüren und sogar miteinander interagieren, während das zentrale Gehirn sich zugleich auf strategischere Aufgaben wie Navigation oder das Erlernen neuer Bewegungen konzentriert.
Forscher konnten beobachten, dass selbst bei Verletzungen einzelner Arme die anderen problemlos weiter funktionieren, was die hohe Anpassungsfähigkeit dieses Systems verdeutlicht. Die einzelnen Saugnäpfe an den Armen sind zusätzlich mit eigenen Nervenzentren ausgestattet, sogenannten Saugnapfganglien. Jede dieser Säulen besitzt Hunderte von Saugnäpfen mit eigenständigen Nervenknoten, die es ermöglichen, nicht nur die Umgebung abzutasten, sondern auch chemische Informationen wahrzunehmen. Dies macht die Arme zu hochempfindlichen und funktional weit entwickelten Gliedmaßen, die als eigene kleine Gehirne innerhalb des Körpers betrachtet werden können. Ungewöhnlich ist die Beobachtung eines Oktopus mit neun Armen, entdeckt von einem Forscherteam am Institut für Meeresforschung in Spanien.
Im Rahmen einer Langzeitstudie verlief das rechte vordere Bein des Tieres während der Regenerationsphase aufgrund einer Verletzung nicht wie üblich, sondern teilte sich in zwei separate Gliedmaßen auf – das Tier verfügte somit über insgesamt neun Arme. Diese Mutation, vermutlich ausgelöst durch eine atypische Regeneration nach einem Raubtierangriff, ist ein seltener Blick auf die neurobiologischen Anpassungen bei Kopffüßern. Der neunarmige Oktopus – von den Forschern „Salvador“ getauft – zeigte in seinem Verhalten eine klare Präferenz, das zweigeteilte Arm-Monstrum bei riskanteren Aktivitäten wie Nahrungsaufnahmen weniger zu verwenden. Dies deutet darauf hin, dass das Tier eine längerfristige Erinnerung an die ursprüngliche Verletzung besitzt und seine Bewegungen entsprechend anpasst, um eine weitere Schädigung zu vermeiden. Gleichzeitig wurde beobachtet, dass die neuronale Integration des zusätzlichen Arms erstaunlich effizient erfolgte.
Nach einiger Zeit benutzte Salvador seinen neunten Arm so wirksam wie die anderen, was die bemerkenswerte Plastizität und Flexibilität des oktopusspezifischen Nervensystems unterstreicht. Das Gehirn des Oktopus befindet sich zentral im Mantelbereich, zwischen den Augen. Es arbeitet eng mit den beiden großen optischen Lappen zusammen, die für die Verarbeitung visueller Informationen zuständig sind und dem Oktopus seine bemerkenswerte Fähigkeit verleihen, komplexe Szenarien zu analysieren und zu reagieren. Trotz der hohen Selbstständigkeit der Arme verbleibt eine ständige Kommunikation zwischen diesen und dem zentralen Gehirn, was zu einem harmonischen und koordinierten Bewegungsablauf führt. Zahlreiche Studien befassen sich mit den Parallelen und Unterschieden zwischen dem Nervensystem des Oktopus und dem der Wirbeltiere.
Trotz ihrer unterschiedlichen evolutionären Linien weisen sie erstaunliche Ähnlichkeiten auf, wie etwa die Kamera-artigen Augen oder die neuronalen Verarbeitungsmethoden ihres Gehirns. Diese Beispiele eines sogenannten konvergenten Evolutionsprozesses zeigen, wie ähnliche Herausforderungen auf verschiedenen Wegen gelöst werden können. Die Untersuchung von Individuen mit Anomalien, wie dem neunarmigen Oktopus, liefert darüber hinaus wertvolle Erkenntnisse für unterschiedliche Anwendungsbereiche, darunter die Robotik und die regenerative Medizin. Die Fähigkeit des Oktopus, zusätzliche oder fehlende Gliedmaßen anzupassen und zu kontrollieren, inspiriert die Entwicklung flexibler, intelligenter Steuerungssysteme für Roboter, die wie tierische Extremitäten agieren, sowie die Erforschung neuronaler Regenerationsprozesse. Die Beobachtungen am neunarmigen Oktopus demonstrieren eindrucksvoll, wie die Evolution funktionale Anpassungen auch in ungewöhnlichen Situationen ermöglicht.
Das Tier meistert sowohl sensorische als auch motorische Herausforderungen, die durch seine außergewöhnliche Anatomie entstehen, durch eine hochentwickelte neuronale Integration und Anpassungsfähigkeit. Dabei zeigt es eine bemerkenswerte Fähigkeit, scheinbar „falsche“ oder atypische Körperteile nicht als Defekt zu behandeln, sondern in sein bestehendes Verhaltensrepertoire zu integrieren. Zusammengefasst geben die Studien über den neunarmigen Oktopus einen seltenen Einblick in die Flexibilität und Innovationskraft lebender Systeme unter extremen Bedingungen. Sie unterstreichen die Komplexität des dezentralen Nervensystems der Kopffüßer – ein Konzept, das weit über die Grenzen der klassischen Neurowissenschaften hinausreicht. Die Kombination aus unabhängigen Armen, eigenständigen Saugnapfganglien und der koordinierenden Rolle des zentralen Gehirns macht den Oktopus zu einem Meister der Anpassung und ein Inspirationsquell für Wissenschaft und Technik.
Nicht nur als Räuber, der geschickt seine Umgebung erkundet und Nahrung erbeutet, sondern auch als Beispiel für biologische Innovation, bleibt der Oktopus mit seinen neun Armen ein Wunder der Meere. Sein Nervensystem zeigt, dass Intelligenz und Beweglichkeit sich nicht ausschließlich durch einen zentralisierten Schaltkreis definieren, sondern dass Vielschichtigkeit und Flexibilität oft der Schlüssel zum Überleben sind. Forscher weltweit werden weiterhin von diesem außergewöhnlichen Tier lernen, um die Geheimnisse eines komplexen und zugleich dezentral organisierten Gehirns zu entschlüsseln und neue Wege für Wissenschaft und Technologie zu eröffnen.