Generative Künstliche Intelligenz (GenAI) erobert zunehmend alle Lebensbereiche und eröffnet dabei neue Wege des kreativen Ausdrucks. Vielmehr als reine Datenverarbeitung ermöglicht GenAI eine Form von Vorstellungskraft, die bisher vor allem dem menschlichen Geist zugeschrieben wurde. Im Mittelpunkt steht dabei ein spannendes Konzept: die sogenannten GenAI-gestützten Fantasien. Diese Idee beschreibt kreative, plausible aber dennoch fiktive Welten, die von künstlichen Intelligenzsystemen erschaffen werden. Sie richtet den Fokus weg von objektiv falschen Informationen, die oft als „Halluzinationen“ bezeichnet werden, hin zu bewussten, fantastischen Konstruktionen mit großem Potenzial für verschiedene Anwendungsfelder.
Im heutigen Diskurs ist es essenziell, dieses Konzept zu verstehen, um die Möglichkeiten und Risiken von GenAI korrekt einordnen zu können. Die Bezeichnung „Halluzination“ suggeriert eine unbeabsichtigte und unsinnige Fehlinformation, die die Qualität der KI mindert. Doch GenAI-gestützte Fantasien sollten als ein kreativer Prozess verstanden werden. Hierbei verknüpft die künstliche Intelligenz vorhandenes Wissen mit plausiblen, aber nicht realen Narrativen, die von Nutzern gezielt als Inspiration oder Unterhaltung eingesetzt werden können. Das bedeutet, dass GenAI in gewisser Weise ähnlich wie ein Mensch arbeitet, der in Unsicherheit räsoniert und angewandte Fantasie nutzt, um Vorstellungen oder mögliche Szenarien zu erzeugen.
Im praktischen Kontext sind solche Fantasien bereits heute in diversen Branchen zu beobachten. In der Rechtswelt beispielsweise gibt es Berichte darüber, dass GenAI genutzt wird, um Vernehmungen mit Opfern von Gewaltverbrechen durchzuführen, auch wenn diese nicht mehr leben. Dabei wird eine Art „Stimme“ der Verstorbenen generiert, die über den Fall Auskunft geben und möglicherweise auf aktuelle Entwicklungen reagieren kann. Diese innovative Methode wirft fundamentale ethische und rechtliche Fragen auf. Was ist als Beweismittel zulässig? Wie wird die Authentizität solcher Antworten bewertet? Und vor allem: Wer legt die Rahmenbedingungen und Kontrollmechanismen fest? Ein weiteres, weit verbreitetes Anwendungsfeld liegt in der Welt der Kreativwirtschaft.
Autoren, Filmemacher und Künstler suchen zunehmend nach neuen Inspirationsquellen und Kollaborationspartnern. GenAI ermöglicht es beispielsweise, fiktive Kurse von längst verstorbenen Berühmtheiten zu erstellen. Die Idee dahinter ist, deren Stil, Denkweise und Wissen in Form von Lehrmaterialien oder Geschichten wieder aufleben zu lassen. Ein prominentes Beispiel ist das Angebot eines KI-generierten Kurses in der Schreibkunst von Agatha Christie, einer der erfolgreichsten Kriminalautorinnen aller Zeiten. Für einen Preis von 70 Pfund können Interessierte zehn Lektionen erwerben, die den Stil und die Geheimnisse Christies vermitteln sollen.
Hier wird die Frage nach Authentizität und kommerziellem Nutzen aufgeworfen. Wie „echt“ müssen solche Fantasien sein, um den Erwartungen der Konsumenten gerecht zu werden? Diese Entwicklung ist Ausdruck einer tiefgreifenden sozialen Transformation. Ähnlich wie es der Buchdruck, Radio und Fernsehen in ihrer Zeit ermöglichten, Fantasien und Geschichten zu verbreiten, wird GenAI zum Werkzeug, um völlig neue narrative Welten zu schaffen und erlebbar zu machen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Erfindung mehr denn je. Die potenziellen gesellschaftlichen Auswirkungen sind enorm.
Sie reichen von erweiterten Bildungsangeboten bis hin zu manipulierten Wahrnehmungen von Wahrheit und Glaubwürdigkeit. Die explosionsartige Verbreitung von GenAI-gestützten Fantasien bedingt jedoch auch eine sorgfältige ethische Auseinandersetzung. Im Vergleich zum legendären Radiodrama „War of the Worlds“ von 1938, das damals Panik auslöste, weil viele Zuhörer den fiktionalen Charakter nicht erkannten, braucht die heutige Gesellschaft klare Regeln für den Umgang mit derartigen KI-generierten Inhalten. Es muss sichergestellt werden, dass die Nutzer die Natur der Fantasie verstehen und nicht unbeabsichtigt getäuscht werden. Ein moralischer Rahmen wird dringend erforderlich sein, um kreative Freiheit und gesellschaftliche Verantwortung in Einklang zu bringen.
Darüber hinaus bedarf es Transparenz seitens der Anbieter. Kunden sollen genau wissen, ob sie mit einer realen historischen Figur, einem simulierten Charakter oder einer rein fiktiven Kreation interagieren. Die Kennzeichnung solcher Inhalte ist eine zentrale Herausforderung, um das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht zu verlieren. Gleichzeitig eröffnet sich ein spannender Markt, der neue Geschäftsmodelle und Monetarisierungsstrategien hervorbringen wird. Technologisch basiert GenAI auf der Fähigkeit, riesige Datenmengen zu analysieren und Muster zu erkennen.
Dadurch kann sie auf Anfragen plausible Antworten generieren, selbst wenn diese auf lückenhaften oder unvollständigen Informationen beruhen. Anstatt diese Verknüpfungen als Fehler zu bewerten, laden sie geradezu dazu ein, sie kreativ zu nutzen. GenAI fungiert als ein Werkzeug zur Erweiterung menschlicher Vorstellungskraft, das bisherige Grenzen überwindet und in Bereichen wie Kunst, Unterhaltung oder auch Bildung neue Horizonte öffnet. Der Einfluss von GenAI-gestützten Fantasien auf Bildung ist ein weiteres faszinierendes Feld. Über virtuelle Assistenten oder interaktive Lehrinhalte können Lernende individuell gefördert werden, wobei die KI auch persönliche Stilarten berühmter Persönlichkeiten simuliert.
Dies ermöglicht eine neue Form des Lernens, bei der historische Figuren in einem imaginären Dialog lebendig werden. Ein solches Lernen kann sowohl motivieren als auch tiefere Einblicke in komplexe Themen schaffen. Allerdings bleibt die Frage, wie hoch der Grad an faktischer Richtigkeit sein muss oder sollte. In manchen Fällen ist pädagogisch wertvolle Fiktion sinnvoll, um Verständnis zu fördern, in anderen ist eine strenge Trennung von Faktem und Fiktion unerlässlich. Die Gestaltung und Kommunikation solcher Inhalte erfordern daher ein hohes Maß an Sorgfalt und Reflexion.
Ein ebenso großer Diskussionspunkt umfasst den Einfluss auf die kreative Arbeit an sich. Wenn Autoren oder Künstler GenAI als Partner einsetzen, ändert sich der Prozess der Ideenfindung grundlegend. Während man früher vor einem weißen Blatt saß oder sich Inspiration mühselig erarbeiten musste, steht mit GenAI eine sofortige und umfangreiche Quelle für Vorschläge, Charakterentwicklungen oder sogar ganze Handlungsstränge zur Verfügung. Dies kann einerseits Befreiung und neue Kreativität bedeuten, andererseits aber auch kreative Abhängigkeit oder Einheitsbrei zur Folge haben. Demgegenüber stehen auch Fragen des Urheberrechts.
Wem gehören die von GenAI miterschaffenen Werke? Wie wird geistiges Eigentum geschützt? Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind hier noch im Entstehen begriffen und werden in den nächsten Jahren entscheidend mitgestaltet werden müssen. Sozial betrachtet könnte die wachsende Verbreitung von GenAI-gestützten Fantasien unsere Wahrnehmung von Realität und Geschichte langfristig prägen. Menschen könnten sich stärker in imaginären Welten verlieren oder alternative Darstellungen von Ereignissen als genauso gültig ansehen wie belegte Tatsachen. Dies erfordert neue Kompetenzen im kritischen Umgang mit Informationen und eine verstärkte Medienbildung. Nicht zuletzt ist GenAI ein Spiegel menschlicher Kreativität und zugleich eine Erweiterung der Vorstellungskraft.