Mogadischu, die Hauptstadt Somalias, steht vor einem bedeutenden Wandel. Jahrzehntelange Konflikte und Bürgerkriege hinterließen tiefe Spuren im Stadtbild, doch heute erlebt die Stadt einen regelrechten Bauboom. Hochhäuser und moderne Wohnkomplexe ersetzen die Ruinen vergangener Jahre und spiegeln eine neue Phase des Wiederaufbaus und des Aufschwungs wider. Besonders bemerkenswert ist, dass in diesem Kulturwandel auch Frauen eine zunehmend zentrale Rolle spielen. Junge Ingenieurinnen wie Fathi Mohamed Abdi und Saadia Ahmed Omar prägen die bauliche Neugestaltung Mogadischus und setzen sich in einer traditionell männlich dominierten Branche durch.
Ihre Geschichten sind Ausdruck einer sich formierenden Zukunft, in der Frauen große Ambitionen verfolgen und zur Entwicklung der Stadt beitragen. Der Bauboom in Mogadischu ist mehr als nur ein wirtschaftliches Phänomen. Er steht für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und die Rückkehr von Stabilität und Sicherheit. Über 6000 neue Gebäude sind in den letzten fünf Jahren entstanden, von Wohnhäusern über Geschäftskomplexe bis hin zu Infrastrukturprojekten, die das Bild der Stadt modernisieren. Die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften ist so hoch wie nie zuvor, und diese Entwicklung öffnet Räume für junge Frauen, die sich für die Bereiche Ingenieurwesen und Bauwesen interessieren.
Noch vor wenigen Jahren unvorstellbar, finden heute immer mehr Frauen Zugang zu Studium und Arbeit in diesem Sektor. Fathi Mohamed Abdi und Saadia Ahmed Omar sind heute professionelle Bauingenieurinnen, die an bedeutenden Projekten beteiligt sind, darunter ein zehnstöckiger Wohnkomplex im Stadtteil Hodan. Das junge Team arbeitet unter oft herausfordernden Bedingungen, navigiert durch Materialberge und gibt Anleitung an ausschließlich männliche Baustellenarbeiter. Trotz anfänglicher Zweifel anderer, ob Frauen diesen Beruf meistern könnten, zeigen sie durch ihre Kompetenz und ihr Engagement, dass Geschlechterrollen neu definiert werden können. In Somalia sind Frauen historisch durch gesellschaftliche Normen und Einschränkungen oft in ihrer beruflichen Entwicklung gebremst worden.
Die globale Entwicklung hat zwar auch hier Spuren hinterlassen, doch der Wandel vollzieht sich langsam. Die Baubranche war lange Zeit fest in männlicher Hand, und weibliche Ingenieurinnen machten nur einen kleinen Bruchteil aus. Heute liegt der Frauenanteil unter den Ingenieuren bei etwa fünf Prozent. Das vorherrschende Vorurteil gegenüber Frauen in körperlich anspruchsvollen und technisch komplexen Berufen hält sich nach wie vor, doch die Lücken im Fachkräftemangel eröffnen neue Chancen und fördern die Inklusion. Der Vorsitzende der Somali Engineers Association, Ibrahim Abdi Heyle, betont, dass die aktive Förderung weiblicher Fachkräfte nicht nur den Bedarf deckt, sondern auch kreative Impulse und neue Perspektiven in die Branche bringt.
Die Organisation arbeitet daran, mehr Frauen für Ingenieurberufe zu begeistern und unterstützt junge Talente bei ihrer Karriere. So verändern sich gesellschaftliche Vorstellungen langsam und Bahnen werden für eine inklusivere Zukunft geebnet. Doch der rapide Bauboom birgt auch Risiken. In der Vergangenheit fehlte es jahrelang an klaren Bauvorschriften und Qualitätskontrollen, was die strukturelle Sicherheit zahlreicher Gebäude infrage stellt. Zwar hat die Stadtverwaltung in den letzten Jahren neue Regulierungen eingeführt, doch ihre konsequente Umsetzung und Überwachung bleiben Herausforderungen.
Beispiele wie der Gebrauch salzhaltigen Sandes, der Korrosion an Bewehrungen verursacht, zeigen die Komplexität der Problematik. Ebenso mangelt es vielerorts an Brandschutzmaßnahmen und sicherheitsrelevanten Infrastrukturen innerhalb neuer Bauten. Die städtische Entwicklung wird zudem durch infrastrukturelle Defizite belastet. Mogadischu fehlt ein ausgereiftes Kanal- und Abwassersystem, und der intensive Bau von Brunnen zur Wasserversorgung führt zur Erschöpfung der Grundwasserreserven. Diese Probleme sind schwer lösbar, insbesondere in einem dicht besiedelten und konfliktdurchzogenen Umfeld.
Umweltfachleute und internationale Berater wie Christophe Hodder weisen darauf hin, dass ohne koordinierte Planungen und nachhaltige Strategien ökologischen Gefahren und sozialen Spannungen Tür und Tor geöffnet wird. Die Sicherheitslage in Mogadischu bleibt angespannt, da Teile des Landes weiterhin von der Terrororganisation al-Shabaab kontrolliert werden. Trotz wiederholter Anschläge, die insbesondere auf prominente Ziele abzielen, zeigt sich die lokale Bevölkerung und insbesondere die junge Ingenieurinnengeneration unbeirrt. Sie sehen ihren Beitrag als Teil des gesellschaftlichen Wiederaufbaus und sind entschlossen, das Bild der Stadt entscheidend zu prägen. Ihre Hoffnungen sind nicht nur auf wirtschaftlichen Erfolg gerichtet, sondern auch auf die soziale Erneuerung und auf die Schaffung eines modernen, zeitgemäßen Lebensraums.
Die Rolle der Diaspora-Spieler ist nicht zu unterschätzen. Geldüberweisungen aus dem Ausland – die im Jahre 2022 fast 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachten – finanzieren viele Neubauprojekte und tragen damit maßgeblich zum Bauboom bei. Durch diese Finanzströme wird ein Fundament geschaffen, auf dem Städteplanung stattfinden kann, und Investitionen werden in Infrastruktur und Wohnraum gelenkt, die lange vernachlässigt wurden. Für junge Frauen wie Abdi und Omar ist die Arbeit auf den Baustellen von Mogadischu mehr als ein Job. Sie sehen sich als Pionierinnen, die nicht nur Gebäude errichten, sondern auch alte Traditionen hinterfragen und verändern.
Ihre persönlichen Erfahrungen, von anfänglichem Misstrauen und Ablehnung bis hin zu Anerkennung und Stolz, spiegeln die gesellschaftlichen Umbrüche wider. Sie nennen ihre Mission eine „Wiederbelebung der Ingenieurwissenschaften“ nach Jahrzehnten der Vernachlässigung im Land. Auch wenn erfahrene Architekten wie Siidow Cabdulle Boolaay die Veränderung der Stadtstruktur kritisch beobachten und vor dem Verlust historischer Baukulturen warnen, zeigen die neuen Bauprojekte die Dynamik einer Gesellschaft, die ihre Vergangenheit aufarbeitet und gleichzeitig eine neue Zukunft entwirft. Die Herausforderung besteht darin, die Balance zwischen Wachstum, Sicherheit, Tradition und Innovation zu finden. Die kommenden Jahre sind entscheidend für Mogadischu.