Die Covid-19-Pandemie stellte Gesellschaften weltweit vor bisher unbekannte Herausforderungen. Besonders das Thema Schulschließungen rückte dabei in den Mittelpunkt von politischen Debatten, medizinischen Einschätzungen und gesellschaftlichen Konflikten. Millionen von Kindern in den Vereinigten Staaten wurden für Monate oder sogar mehr als ein Jahr vom regulären Präsenzunterricht ausgeschlossen. Die Folgen und die Frage, ob diese Maßnahmen richtig oder fehlgeleitet waren, werden heute intensiv diskutiert. Bereits Mitte 2020 meldete sich die American Academy of Pediatrics (AAP) mit klarer Empfehlung zu Wort und forderte eine prioritär sichere Rückkehr der Schüler in die Klassenzimmer.
Die Organisation, die rund 67.000 Kinderärzte repräsentiert, kritisierte die negativen Folgen des Fernunterrichts deutlich. Man machte auf Lernverluste aufmerksam und warnte vor erhöhten Risiken für körperlichen oder sexuellen Missbrauch, Angststörungen, Depressionen sowie Selbstmordgedanken bei Kindern und Jugendlichen. Besonders betont wurde zugleich die vergleichsweise geringe Gefahr für Kinder durch das Covid-19-Virus selbst sowie ihre begrenzte Rolle als Überträger. Diese Argumente stützten sich auf frühe Daten aus asiatischen Ländern sowie den Erfahrungen aus offenen Kindertagesstätten.
Trotz der medizinisch fundierten Position der AAP entstand jedoch ein widersprüchliches Bild. Die Empfehlungen der US-Gesundheitsbehörde CDC, welche beispielsweise sechs Fuß Abstand in Schulen empfahlen, wurden von der AAP zugunsten weniger strenger Vorgaben angepasst. Politische Akteure wie der damalige Präsident Donald Trump, Vizepräsident Mike Pence und Bildungsministerin Betsy DeVos forderten vehement die Öffnung der Schulen schon im Herbst 2020. Trump drohte sogar Finanzkürzungen für Bezirke an, die sich weigerten, ihre Schulen zu öffnen. Diese politischen Appelle erzeugten enormen Druck auf Schulbehörden und Gesundheitsorganisationen.
Nur kurze Zeit später veröffentlichte die AAP eine weitere, deutlich zurückhaltendere Stellungnahme, die sich mehr an den Wünschen von Lehrergewerkschaften orientierte. Die einst dringende Forderung zur raschen Rückkehr zum Präsenzunterricht wich einem vorsichtigeren Narrativ und der Empfehlung, die Entscheidung über Öffnungen den sogenannten „Experten“ zu überlassen. Der Begriff „Experten“ blieb dabei jedoch diffus und wurde nun gemeinsam mit mächtigen Gewerkschaften und Schulleitern vertreten. Einige Beobachter interpretieren diese Kehrtwende als Zugeständnis gegenüber politischen Interessen und den Interessen der Lehrergewerkschaften, die großen Einfluss auf die demokratische Partei hatten. Journalistische Recherchen und Bücher wie „An Abundance of Caution“ von David Zweig zeichnen ein Bild von einem Klima, in dem medizinische Fachkräfte, insbesondere Pädiater und Immunologen, Repressionen ausgesetzt waren, wenn sie die Schulschließungen öffentlich hinterfragten.
In liberalen und gewerkschaftsnahen Communities wurde die Übereinstimmung mit der Politik des ehemaligen Präsidenten Trump, der sich stark für offene Schulen aussprach, als Verrat eingestuft. Diese politische Polarisierung führte dazu, dass die wissenschaftliche Debatte zugunsten von längeren Schulschließungen eingeschränkt wurde – mit negativen Auswirkungen auf die physische und geistige Gesundheit von Kindern, vor allem aber auf sozial benachteiligte Gruppen. Trotz dieser Problemstellungen darf nicht vergessen werden, dass die Pandemie Anfang 2020 vor allem in einigen US-Städten, insbesondere in New York City, eine humanitäre Katastrophe darstellte. Dort stiegen die Todeszahlen innerhalb kürzester Zeit dramatisch an, Krankenhäuser waren überlastet, und ganze Stadtviertel wurden zu Hotspots der Pandemie. Vor diesem Hintergrund waren Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, einschließlich der Schulschließungen, mit enormem Druck belastet.
Eltern verloren Ehepartner, Menschen starben in großer Zahl und die Belastung der Gemeinschaft war kaum zu ermessen. Nichtsdestotrotz zeigen Daten, dass Kinder unter 18 Jahren bis zum Sommer 2020 nur 0,04 Prozent der Covid-Todesfälle ausmachten. In mehreren Bundesstaaten und Städten gab es zudem keine größeren Infektionsausbrüche in Bildungseinrichtungen, die als offene Kinderbetreuungsstätten für systemrelevante Beschäftigte fungierten. Dieses Wissen hätte eigentlich den Weg für eine schnellere und flächendeckendere Wiedereröffnung der Schulen ebnen können. Die Pandemie führte allerdings zu zahlreichen teils absurden Schutzmaßnahmen in manchen Schulbezirken.
„Hybridunterrichtsmodelle“ mit nur zwei Präsenztagen pro Woche, klobige Desk-Barrieres aus Plastik und Karton sowie das Tragen von Masken selbst beim Schwimmunterricht oder im Schulsport waren an der Tagesordnung. Experten, unter anderem Dr. Anthony Fauci, verteidigten solche Maßnahmen, obwohl diese nie vollständig wissenschaftlich untermauert waren und vielfach auf politischem Willen basierten. Diese Maßnahmen belasteten Lehrer wie Schüler immens und waren oft mehr Show als wirksamer Schutz. Die Rolle der Lehrergewerkschaften blieb ein weiterer kritischer Punkt.
Während die Gewerkschaften der Lehrer in vielen Fällen vehement gegen frühe Schulöffnungen kämpften und teilweise auf die Rechte der Beschäftigten pochten, die unter Unsicherheit und Ansteckungsgefahr litten, leisteten viele einzelne Lehrkräfte engagierte Arbeit trotz aller widrigen Umstände. Der Konflikt zwischen unionsgeführter Politik und der tatsächlichen Erfahrung der Lehrer führte zu einem verzerrten Bild in der Öffentlichkeit, das nicht immer differenziert wurde. Zumal wichtig ist zu beachten, dass während der Delta- und Omikron-Wellen im Herbst 2021 und Anfang 2022 Infektionszahlen in Schulen und städtischen Gebieten extrem hoch waren. In vielen Fällen mussten Schulen vorübergehend schließen oder Familien ihre Kinder vom Unterricht abmelden, um Ansteckungen zu vermeiden. Die Vorstellung, die Schulen hätten zu diesem Zeitpunkt schon vollständig geöffnet sein können, erscheint heute naiv bis gefährlich.
Dies zeigt, wie komplex die Bewertung der Schulschließungen unter sich ständig wandelnden pandemischen Bedingungen war. Ein weiterer Vergleich führt zu einem interessanten Blick auf andere Länder, etwa Schweden, das zu Beginn der Pandemie weitgehend auf Schulschließungen verzichtete. Dort blieben die Vorschulen und Unterstufen geöffnet, obwohl das Land insgesamt eine höhere Übersterblichkeit hatte als seine nordischen Nachbarn. Schweden galt daher zugleich als Beispiel für pragmatische Lockerungen wie auch als mahnendes Negativbeispiel einer unzureichenden Eindämmung. Angesichts all dieser Punkte fällt die Bilanz der Covid-bedingten Schulschließungen zwiespältig aus.
Auf der einen Seite standen berechtigte Vorsichtsmaßnahmen angesichts einer bislang unbekannten Pandemie mit potenziell tödlichen Folgen. Auf der anderen Seite entstanden tiefgreifende Bildungslücken, psychische Belastungen und soziale Isolation, die vor allem Kinder aus benachteiligten Familien hart trafen. Das Zusammenspiel von politischem Druck, wissenschaftlicher Unsicherheit, medialer Polarisierung und Interessen einzelner Gruppen führte zu einer Komplexität, die oftmals einfache Lösungsansätze unmöglich machte. Im Rückblick wird deutlich, dass offene und transparente wissenschaftliche Debatten sowie die Berücksichtigung sozialer und emotionaler Bedürfnisse der Kinder hätten besser abgewogen werden müssen. Auch die Einbindung von Lehrkräften, Eltern und Experten in einen konstruktiven Dialog hätte den Umgang mit der Pandemie erleichtern können.
Die Erkenntnisse legen nahe, dass bei künftigen Krisen der Fokus stärker auf eine ganzheitliche Betrachtung von Gesundheitsrisiken, Bildungsnotwendigkeiten und gesellschaftlicher Verantwortung gelegt werden sollte. Das Vermächtnis der Schulschließungen in der Covid-Zeit ist somit kein einfacher Schuldigenbericht, sondern ein Aufruf zur Reflexion und Verbesserung der Krisenpolitik. Künftige Strategien müssen flexibel, datengetrieben und sozial ausgewogen gestaltet werden, um sowohl die Gesundheit der Gesellschaft als auch das Wohl der Kinder bestmöglich zu schützen und zu fördern. Ein wichtiger Schritt wird es sein, die Lehren der Pandemie als Impulse für eine resilientere, gerechtere Bildungspolitik zu nutzen und die Kosten und Nutzen von Maßnahmen stets differenziert zu bewerten. Diese kritische Rückschau hilft nicht nur, das hinausgezögerte Lernen, die mentalen Herausforderungen und das soziale Freiwerden der Kinder nachzuvollziehen, sondern auch die politischen und institutionellen Zwänge, die zu den verhängnisvollen Entscheidungen beitrugen.
Nur so kann eine neue Generation von politischen und medizinischen Führungspersönlichkeiten entstehen, die im Ernstfall mutiger, weitsichtiger und solidarischer handelt. Die Erfahrung der Pandemie hat gezeigt, wie wichtig der Zusammenhalt aller Akteure – von Expert*innen über Lehrer*innen bis zu elterlichen Gemeinschaften – ist, um Krisen erfolgreich und möglichst schadlos für die nächste Generation zu bewältigen.