Inmitten einer fabelhaften Landschaft in den Landen von Phantaz existiert eine einzigartige Gemeinschaft, deren Existenz eng mit den Bäumen rund um den Palast Hathel verknüpft ist. Sie werden die Schriftsteller auf den Blättern genannt – kleinste Menschenwesen, die seit Generationen in einer besonderen Symbiose mit diesen Bäumen leben und ihre Kultur, Geschichte und Geheimnisse in winzigen Schriftzeichen auf den grünen Blättern bewahren. Diese faszinierende Gesellschaft, geprägt von ihrer außergewöhnlichen körperlichen Gestalt und ihren tief verwurzelten Traditionen, offenbart eine Welt voller Wunder und verborgener Geschichten, die weit über ihre Heimat hinausreichen. Die Schriftsteller auf den Blättern, kaum größer als ein erwachsener Menschenunterarm, besitzen überproportional kleine Gliedmaßen. Ihre Arme entsprechen in ihrer Länge etwa einem langen Finger eines durchschnittlichen Mannes, die Hände gleichen der Größe eines Fingernagels, wobei ihre Finger fein und spindeldürr sind, vergleichbar mit einer Nagelspitze eines Schuljungen.
Durch diese winzigen Hände sind sie in der Lage, präzise und filigran die 39 Zeichen des Phantaz-Alphabets in einer dunklen purpurfarbenen Tinte auf den Blättern zu verewigen. Dabei entstehen Punkte, Striche, geschwungene Linien und kleine Kreise, die in ihrer Kombination ganze Geschichten, Nachrichten und Informationen transportieren. Die Bäume rund um den Palast Hathel sind nicht nur Schreibfläche, sondern auch Kommunikationsmedium. Ein tief verwobenes Wurzelsystem verbindet die Bäume über das gesamte Land Phantaz. Die Schriftsteller lauschen mit ihren ungewöhnlich großen Ohren, die die Größe einer Bauernfaust erreichen können, an den Baumzweigen, um Nachrichten und Neuigkeiten aus allen Regionen aufzunehmen.
Dieses Netzwerk funktioniert wie ein organisches Kommunikationssystem, das es den Schriftstellern ermöglicht, Wissen und Ereignisse in Echtzeit zu sammeln und entsprechend zu dokumentieren. Die einzigartige Praxis des Schreibens findet während der Blattzeit statt, hauptsächlich im Frühling, Sommer und Herbst, wenn die Bäume ihr Laub tragen. Im Winter, wenn die Bäume kahl sind, ruht diese Tätigkeit. Stattdessen verbringen die Schriftsteller ihre Zeit mit winterlichen Vergnügungen, die perfekt für ihre ungewöhnliche Körpergröße und die Umgebung sind. Sie rodeln durch die weitläufigen Gärten rund um den Palast, gleiten auf dem gefrorenen See, dabei beobachten sie die spukhaften Erscheinungen der Skelett-Ritter unter dem Eis, und führen ausgelassene Tänze und zarte Werbe-Rituale auf.
Diese Wintersaison ist entscheidend für die soziale Bindung der Gemeinschaft und bereitet sie auf die kommende Schreibsaison vor. Historisch gesehen hatten die Schriftsteller eine besondere Beziehung zu der längst untergegangenen Dynastie von Hathel. Die damaligen Könige, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen waren körperlich derart verändert, dass sie sich perfekt zum Lesen der Miniaturtexte auf den Blättern eigneten. Ihr Körperbau war außergewöhnlich: langgestreckt, schmal und mit verlängerten Hälsen. Diese wurden durch tägliches Dehnen und eine spezielle Technik, bei der Goldringe platziert wurden, unterstützt, um die Halswirbel zu verlängern und zu stabilisieren.
Ihre Beine trugen eigens angefertigte, hohe Absätze, die bis zur Länge eines Unterarms eines normalen Mannes reichten, wodurch sie auf Stöcken balancierten, die höher waren als die Ritterwächter des Palasts. Dieses eindrucksvolle Bild zeigte eine königliche Gesellschaft, die mit ihrer Mode und Gestik bestrebt war, die Kostbarkeit und Bedeutung der Schriften auf den Blättern zu unterstreichen. Der Palast Hathel selbst war einst ein prunkvolles Gebäude, umgeben von baumgesäumten Pavillons, in denen die königlichen Familienmitglieder flanierten, um die Geschichten, Berichte und Gedichte, die auf den Blättern geschrieben standen, zu lesen. Die prachtvollen Roben der Adligen waren verziert mit Mustern, die an Tigerstreifen, Leopardenflecken oder Nebelschwaden erinnerten – ein Ausdruck der hohen Ästhetik und Symbolik jener Epoche. Doch leider fand die glanzvolle Zeit ein abruptes Ende.
Die Dynastie von Hathel wurde gestürzt und der Palast verfiel. Heute stehen nur noch Ruinen, und die majestätische Verbindung zwischen den Herrschern und ihren kleinen Schriftstellern ist erloschen. Die Bäume tragen nach wie vor ihre Blätter, doch die darauf geschriebenen Worte werden von niemandem mehr gelesen – außer von jenen winzigen Schriftstellern selbst. Sie lesen jeden Buchstaben während sie schreiben, um sicherzustellen, dass ihr Erbe auch weiterhin bewahrt wird, selbst wenn es niemand anderes erfassen kann. Die Welt der Schriftsteller auf den Blättern bietet darüber hinaus einen faszinierenden Einblick in eine alternative Art der Informationsverarbeitung und Gesellschaftsform.
Ihre Fähigkeit, präzise Nachrichten zu sammeln, zu speichern und zu vermitteln, lässt Parallelen zu frühen menschlichen Kommunikationsformen erkennen, angereichert durch eine beinahe magische Verbindung zur Natur. Die engen Wurzeln der Bäume, die als lebendige Datenautobahnen fungieren, erinnern an Netzwerke moderner Technologie, nur dass hier diejenigen, die kommunizieren, buchstäblich ein Teil der Natur sind. Außerdem symbolisiert die Geschichte der Schriftsteller und der königlichen Familie von Hathel auch den Zyklus von Macht, Erinnerung und Vergessen. Der Sturz der Dynastie steht stellvertretend für den Verlust von kulturellem Erbe, während das unermüdliche Schreiben und Lesen der winzigen Wesen ein Hoffnungsschimmer ist, dass gewisse Werte und Geschichten niemals ganz verloren gehen. Das Bild jener kleinen Chronisten, die im Schatten der gigantischen Bäume ihre Arbeit verrichten und damit einen Teil der Erinnerung bewahren, ist poetisch und melancholisch zugleich.
