Die Welt des Quantencomputings ist geprägt von enormen Erwartungen, da diese Technologie das Potenzial hat, Rechenleistungen revolutionär zu verändern und Probleme zu lösen, die für klassische Computer unerreichbar sind. Microsofts Bemühungen, einen Quantenchip zu entwickeln, stießen 2017 auf internationales Interesse, als eine Studie der TU Delft, finanziert vom Technologieriesen, in Nature Communications veröffentlicht wurde. Die Untersuchung versprach, den Nachweis von Majorana-Quasiteilchen zu erbringen, einer langgesuchten Basis für stabile Quantenbits. Doch nun sind Zweifel an der Integrität dieser Studie laut geworden, nachdem interne E-Mails und Recherchen Hinweise auf undeklarierte Datenverarbeitungen offenbarten. Diese werfen nicht nur Fragen zur wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit auf, sondern haben auch breite Auswirkungen auf die Quantencomputing-Community und die zukünftige Entwicklung entsprechender Technologien.
Die Studie war wegweisend darin, aufzuzeigen, wie ultraschlanke Nanodrähte zur Kodierung von Qubits verwendet werden könnten, statt der herkömmlichen Transistoren in klassischen Computern. Das Konzept beruht darauf, dass sich an den Enden dieser Nanodrähte Majorana-Quasiteilchen bilden, die durch ihr einzigartiges Elektronenverhalten extrem robuste und fehlerresistente Quantenbits darstellen. Majorana-Quasiteilchen sind keine echten Teilchen, sondern eher ein spezielles Muster innerhalb der Elektronenverteilung, das sich theoretisch durch experimentelle Anordnung erzeugen lässt. Die Forschungsgruppe aus Delft publizierte Ergebnisse, wonach Elektronen sich nahezu ohne Streuung durch diese Nanodrähte bewegen, was eine Voraussetzung dafür ist, die Majorana-Zustände zuverlässig nachweisen zu können. Doch diese Behauptungen standen schnell im Widerspruch zu späteren Recherchen von Insidern.
Vincent Mourik, ein Mitautor und nun am Jülich Forschungszentrum tätig, äußerte bereits früh kritische Zweifel an der Vollständigkeit und Auswahl der verwendeten Daten. Aus insgesamt einundzwanzig getesteten Nanodrahtübergängen wurden in der veröffentlichten Studie nur Daten von vier berücksichtigt. Solche selektiven Auswahlen können zu verzerrten Ergebnissen und falschen Schlussfolgerungen führen. Noch gravierender ist eine E-Mail-Korrespondenz vom April 2021, in der Mourik vom damaligen Korrespondenzautor Önder Gül explizit nachfragte, ob ihm die undeklarierten Datenverarbeitungen vor Veröffentlichung bekannt gewesen seien. Gül bestätigte, diese zu kennen, hatte ihre Relevanz jedoch unterschätzt und deshalb nicht offengelegt.
Die mangelnde Transparenz führt zu Vorwürfen der Datenmanipulation, die von Gül zwar bestritten, aber als „undeklarierte Datenverarbeitung“ akzeptiert wurden. Ein weiterer Co-Autor der Studie, Michael Wimmer, äußerte sich 2023 gegenüber Mourik mit großer Bestürzung über die verborgenen Datenbearbeitungen, die von Gül und Hao Zhang, dem zweiten Korrespondenzautor, durchgeführt wurden. Zhang selbst gab bislang keine Stellungnahme ab. Diese Vorwürfe fallen in eine Zeit, die von Rückrufen und Korrekturen ähnlicher Arbeiten im Bereich der Majorana-Forschung geprägt ist. Bereits zuvor hatte Nature zwei Paper aus derselben Forschungsgruppe zurückgezogen, welche ebenfalls den Nachweis von Majorana-Quasiteilchen beanspruchten.
Auch andere Universitäten, wie die University of California in Davis, mussten Studien wegen Datenunregelmäßigkeiten zurückziehen. Trotz dieser Rückschläge kündigte Microsoft im Februar 2025 an, einen Quantenchip mit acht Qubits fertiggestellt zu haben, die jeweils aus zwei Nanodrähten bestehen. Das Unternehmen verweist auf „peer-reviewed“-Bestätigungen der Majorana-Zustände, was in der Fachwelt jedoch zunehmend umstritten ist. Kritiker, darunter auch der Physiker Henry Legg von der University of St. Andrews, monieren, dass Microsoft finanzierten Forschungsvorhaben nicht immer die strengen wissenschaftlichen Standards folgen.
Dies gefährde den Fortschritt im Quantencomputing und beeinträchtige die Glaubwürdigkeit der Forschungsergebnisse. Die Reaktionen auf die Korrekturen der 2017er Studie waren gemischt. Während der leitende Autor Leo Kouwenhoven die Vorwürfe der absichtlichen Datenmanipulation als unbegründet bezeichnet und auf die vorgenommenen Fehlerkorrekturen verweist, fordern andere Forscher eine vollständige Rücknahme der Publikation. Mourik sprach von einer „Theorieakrobatik“ und einem absichtlichen Hervorheben erwünschter Effekte durch gezielte Datenanpassungen. Er und eine weitere Forscherin zogen daraufhin ihre Autorenrechte an der Veröffentlichung zurück.
Die Zeitschrift Nature Communications entschied sich nach interner Prüfung gegen eine Rücknahme der Studie und bezeichnete die Angelegenheit als abgeschlossen. Weiterführende Untersuchungen oder umfassendere unabhängige Reviews wurden allerdings nicht veranlasst. Die Kontroverse illustriert grundlegende Herausforderungen in der komplexen Welt der Quantenforschung. Bei der Suche nach extrem schwer fassbaren Quasiteilchen und beim Umgang mit äußerst empfindlichen Messdaten ist eine akribische Transparenz unverzichtbar, damit wissenschaftlich belastbare Ergebnisse erzielt werden können. Die Vorwürfe zeigen, wie wichtig es ist, dass Forschungsteams eine offene Fehlerkultur pflegen und auch negative oder unerwünschte Daten publizieren.
Nur so kann das Vertrauen in neue Technologien wie den Quantenchip langfristig gesichert werden. Die Debatte rund um die Majorana-Studie und Microsofts Quantenchip-Forschung bringt daneben die Bedeutung externer Kontrollen und Peer-Reviews zum Vorschein. Wissenschaftlicher Fortschritt lebt vom kritischen Diskurs, der Replikation und unabhängigen Prüfungen. Zudem wirft der Fall Fragen zur Rolle großer Technologieunternehmen auf, die in komplexe Grundlagenforschung investieren. Die Erwartungshaltungen an deren Ergebnisse sind hoch, zugleich erschweren enge Verflechtungen zwischen Forschungsteams und wirtschaftlichen Interessen mitunter eine klare Trennung zwischen unabhängiger Wissenschaft und kommerziellen Zielsetzungen.
Trotz der aktuellen Rückschläge bleibt der Traum vom stabilen, für Fehler unanfälligen Quantenbit, das etwa bei kryptographischen Verfahren oder komplexen Simulationen revolutionäre Lösungen bringt, lebendig. Die Fortschritte hinsichtlich Nanodraht-Technologien und das theoretische Modell der Majorana-Quasiteilchen sind zwar nicht unumstritten, bieten aber weiterhin einen Weg, der das Quantencomputing nachhaltig prägen könnte. Die wissenschaftliche Gemeinschaft beobachtet gespannt, wie sich die Situation um die umstrittene Studie weiterentwickelt. Die Diskussion um Datenintegrität und methodische Offenheit wird dabei hoffentlich dazu beitragen, die Standards in der Quantenforschung zu verbessern. So lässt sich das volle Potenzial bahnbrechender Technologien wie Microsofts Quantenchip mit wissenschaftlicher Sorgfalt und Verantwortung verwirklichen.
Die Ereignisse verdeutlichen, dass der Weg zu nächsten Generationen von Computern nicht nur technische Meisterleistungen erfordert, sondern auch ethische Prinzipien und transparente Forschungspraktiken. Nur wenn Vertrauen in die gewonnenen Erkenntnisse besteht, können solche Innovationen breite Akzeptanz finden und die technologische Zukunft effektiv gestalten.