Seit dem Beginn der umfassenden Invasion der Ukraine durch Russland im Februar 2022 hat sich die politische und wirtschaftliche Landschaft in Russland dramatisch verändert. Im Fokus stehen dabei nicht nur militärische Ereignisse, sondern auch weitreichende wirtschaftliche Sanktionen, die seitens westlicher Staaten verhängt wurden, um die russische Kriegsführung zu erschweren. Diese Sanktionen führen dazu, dass viele russische Firmen, besonders solche, die unter direkten Beschränkungen stehen, immer mehr ihre offiziellen Daten und Strukturen aus öffentlichen Registern entfernen oder falschen Angaben unterwerfen. Dieses Phänomen hat weitreichende Konsequenzen für Transparenz, Nachvollziehbarkeit und die globale Überwachung von Sanktionsmaßnahmen. Das Russischen Einheitliche Staatsregister Juristischer Personen (EGRUL) ist von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, Informationen über Unternehmen in Russland zu erhalten.
Es wird von der Föderalen Steuerbehörde Russlands verwaltet und enthält grundsätzliche Angaben wie Firmennamen, Registrierungsnummern und Steuerkennzeichen, aber auch detailliertere Angaben wie Klassifikationen der Tätigkeit, Informationen über Geschäftsführer und Eigentümerstrukturen. In Friedenszeiten gilt der EGRUL als vergleichsweise transparent im Vergleich zu vielen europäischen und US-amerikanischen Unternehmensregistern. Allerdings ist diese Transparenz seit dem Eintritt in den Kriegszustand stark geschwunden. Ein bezeichnendes Beispiel sind die Eigentums- und Führungspersoneninformationen von sanktionierten Unternehmen, die aus dem Register gelöscht oder als "beschränkt" markiert werden. So lässt sich beobachten, dass beispielsweise zum 1.
Januar 2022 noch vollständige Eigentumsnachweise vorlagen, die Monate später aber in aktuellen Auszügen des Registers nicht mehr einsehbar oder schlicht nicht mehr vorhanden sind. Die Russischen Behörden begründen dies mit einer Einschränkung der Meldepflichten für Unternehmen, die unter westlichen Sanktionen stehen. Obwohl einige Unternehmen und deren Eigentümer sichtbar bleiben, verschwinden wichtige Beziehungen und Beteiligungen aus der öffentlichen Wahrnehmung. Dies erschwert die Nachverfolgung und Analyse der tatsächlichen Unternehmensnetzwerke und unterminiert die Wirkung der Sanktionen. Das Verschwinden dieser Daten bringt zwei zentrale Herausforderungen mit sich: Zum einen sinkt die Verlässlichkeit der öffentlich zugänglichen Informationen, was es erschwert, die tatsächlichen Eigentums- und Kontrollstrukturen zu identifizieren.
Zum anderen entsteht eine Informationslücke, die Schlupflöcher für Umgehungsversuche und Verschleierungstaktiken öffnet. Um dennoch eine möglichst genaue und vollständige Abbildung der sanktionierten Unternehmenslandschaft in Russland zu gewährleisten, ist es notwendig, auf historische Datensätze zurückzugreifen sowie aktuelle Informationsflüsse systematisch zu verarbeiten und zu analysieren. Dabei ist der Stand vom 1. Januar 2022 ein wichtiger Referenzzeitpunkt, vor der Eskalation des Krieges und der darauf folgenden Folgen für die Meldepflichten und die Transparenz im EGRUL. Aus diesem Vor-Kriegs-Zeitpunkt stammen noch Informationen, die wenig verfälscht oder gelöscht wurden und somit eine verlässliche Basis bieten.
Die Europäische Union hat diese Sichtweise mittlerweile mit der Konsolidierung im Rahmen des EU-Ratsbeschlusses 2025/904 formal bestätigt. Laut diesem Beschluss gilt als verlässlich die zuletzt vor dem 24. Februar 2022 vorliegende Information, solange keine aktuelleren und vertrauenswürdigeren Daten zur Verfügung stehen. Dies ist ein wichtiges Signal, da es das internationale Vorgehen gegenüber russischen Unternehmen in der Sanktionspraxis vereinheitlicht und Klarheit schafft. Dennoch ist es unbefriedigend, sich allein auf nicht aktualisierte Daten verlassen zu müssen.
Die Realität zeigt, dass sich Eigentumsstrukturen, Anschriften und Leitungspersonen laufend verändern, besonders in einem Umfeld, das von politischen Maßnahmen und Sanktionen geprägt ist. Die nicht mehr zugänglichen oder willkürlich entfernten Informationen führen dazu, dass wichtige aktuelle Veränderungen und Entwicklungen verborgen bleiben. Dies stellt ein erhebliches Risiko dar, wenn es darum geht, Geschäftsbeziehungen mit möglichen sanktionierten Firmen zu bewerten bzw. zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund haben wir bei OpenSanctions eine innovative Strategie entwickelt, um diese Problematik zu meistern.
Unsere Datenfabrik verarbeitet nicht nur einen historischen Schnappschuss vom 1. Januar 2022, sondern integriert kontinuierlich die aktuellen Daten-Feeds des russischen Firmenregisters, einschließlich aller Updates seit Beginn des Jahres 2022. Ein Volumen von über 100 Gigabyte komprimierter XML-Dateien wird sorgfältig ausgewertet und durch Algorithmen analysiert, die Eigentumsverhältnisse und Führungsbeziehungen transparent machen – einschließlich derer, die mittlerweile aus dem offiziellen Register verschwunden sind. Dieses Vorgehen erlaubt uns, sogenannte "beendete Beziehungen" abzubilden, also Verbindungen zwischen Unternehmen und Personen, die in offiziellen Quellen nicht mehr ersichtlich sind, aber durch vorangegangene Daten oder Kombinationen verschiedener Quellen nachweisbar bleiben. Dadurch kann etwa das Netzwerk eines prominenten russischen Geschäftsmanns wie Igor Kesaev – der als Experte in der Umgehung westlicher Sanktionen gilt – trotz einer mutmaßlichen Löschung von Eigentumsdaten im Register nachverfolgt werden.
Kesaevs Unternehmensnetzwerk, zu dem mehrere Firmen zählen, ist zwar teilweise gelöscht, aber kleine Spuren oder frühere Daten ermöglichen eine nachvollziehbare Rekonstruktion. Die Kombination historischer und aktueller Daten ist somit ein Schlüsselmethodik, um Transparenz auch in Zeiten staatlicher Zensur oder gezielter Informationsunterdrückung zu gewährleisten. Sie ist entscheidend, um Sanktionen durchzusetzen und Risiken im internationalen Handel mit Russland besser einschätzen zu können. Über die reine Dokumentation hinaus liefern solche Datenbanken wertvolle Einblicke in das Ausmaß der sogenannten "Registry Amnesia" – also wie massiv Informationen im Firmenregister fehlen oder unterdrückt werden. Von 6.
513 sanktionierten russischen Firmen konnten wir 393 Unternehmen identifizieren, bei denen entweder die Eigentümer- oder die Direktoreninformationen oder beide eingeschränkt wurden. Diese Zahlen unterstreichen die dimensionale Tragweite der Problematik. Diese systematische Erfassung und Aufarbeitung der Daten ist nicht nur für Regierungen und Compliance-Teams von Bedeutung. Auch Journalisten, Akademiker und investigative Rechercheure profitieren von einer klaren und verlässlichen Datenbasis, um komplexe wirtschaftliche Netzwerke zu analysieren und öffentlich einsehbar zu machen. Wir bieten deshalb den Zugang zu diesen Datensätzen offengelegt an und laden Interessierte dazu ein, tiefer in das Thema einzusteigen.
Der Nutzen einer solchen Datenplattform geht jedoch weit über die reine Erfassung sanktionierter Unternehmen hinaus. Sie offenbart auch Überraschungen wie etwa die Entstehung neuer Medienmogule rund um die Annexion der Krim oder die Tatsache, dass Kriegstechnologie – etwa der Bau von Drohnen – in bestimmten Familienunternehmen eine bedeutende Rolle spielt. Solche Erkenntnisse erweitern unser Verständnis der vielschichtigen Auswirkungen des Krieges und der Sanktionen auf die russische Wirtschaft und Gesellschaft. Abschließend lässt sich sagen, dass Transparenz in Zeiten geopolitischer Spannungen und Sanktionen eine zentrale Herausforderung und zugleich eine unerlässliche Voraussetzung für wirksames Handeln ist. Das Verschwinden wichtiger Firmendaten aus öffentlichen Registern bedroht die Kontrolle und Nachvollziehbarkeit legitimer Tatsachen.
Durch innovative technische Ansätze und den Mut, umfangreiche komplexe Datensätze aufzubereiten, schaffen wir es, diese Lücken zu schließen. Sind die Daten nicht frei verfügbar, braucht es dennoch mutige und intelligente Lösungen, um auf Grundlage vorhandener Informationen Lücken zu schließen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. So stellen wir sicher, dass nicht nur der Krieg, sondern auch die Wahrheit, zumindest in Form von aussagekräftigen Daten, ihren Platz behält. Die Rückgewinnung der Informationen ermöglicht es der internationalen Gemeinschaft, Sanktionsmechanismen effektiver zu gestalten und trägt dazu bei, Geschäftsbeziehungen transparent und risikoarm zu halten. Es ist zu hoffen, dass unsere Arbeit und die Offenlegung umfangreicher Datensätze weitere Forscher und Journalisten dazu inspiriert, noch tiefer zu graben und das Thema in der Öffentlichkeit stärker zu verankern.
Nur so kann langfristig gewährleistet werden, dass politisch motivierte Informationslöschungen nicht die Kontroll- und Sicherheitsmechanismen internationaler Zusammenarbeit untergraben.