In der modernen Ära der Digitalisierung steigen die Anforderungen an schnelle, energieeffiziente und intelligente Datenverarbeitung exponentiell. Insbesondere in Bereichen wie Bildverarbeitung, Bewegungserkennung und mathematischen Berechnungen ist eine rasche und präzise Ableitung von Differenzialwerten essenziell. Klassische digitale Verfahren stoßen hier oft an ihre Grenzen – sowohl im Hinblick auf Speicherbedarf als auch auf Energieverbrauch und Geschwindigkeit. Vor diesem Hintergrund hat die Forschung eine vielversprechende Lösung in Form des In-Memory Ferroelectric Differentiators entwickelt, der eine bahnbrechende Methode zur direkten Differenzialberechnung im Speicher bietet und so eine neue Generation effizienter Edge-Computing-Systeme ermöglicht. Die Grundlage der Technologie beruht auf ferroelectricen Materialien, konkret auf polymerbasierten Ferroelectric-Kondensatoren aus Poly(vinylidenfluorid-trifluorethylen) (P(VDF-TrFE)), die als nichtflüchtige Speicherkomponenten in einem Crossbar-Array mit 1600 Einheiten zusammengeschaltet sind.
Ferroelectricität bezeichnet die Eigenschaft bestimmter Materialien, eine spontane elektrische Polarisierung aufzuweisen, die umkehrbar ist, wenn ein äußeres elektrisches Feld angelegt wird. Diese Eigenschaft wird hier genutzt, um Differenzialinformationen direkt durch das Verhalten der Polarisationsumkehrung zu erzeugen. Das bedeutet, dass Unterschiede zwischen zwei Datenzuständen unmittelbar in den Speicherzellen erkannt und berechnet werden, ohne dass ein getrenntes Rechensystem zwischengeschaltet wird. Diese Form des in-memory Computing steht in starker Anlehnung an biologische Vorgänge, bei denen Verarbeitung und Speicherung von Informationen eng miteinander verflochten sind, etwa in neuronalen Netzwerken des menschlichen Gehirns. Ebenso werden durch die Verschmelzung von Datenverarbeitung und Speicherzugriff die bekannten Engpässe bei Datenübertragung – die sogenannten von-Neumann-Engpässe – vermieden, wodurch Zeit und Energie massiv eingespart werden können.
Die Implementierung der Technologie umfasst ein passives crossbar Array mit 40x40 Ferroelectric-Kondensatoren. Aufgrund der speziellen, nichtlinearen Dynamik der Ferroelectric-Domänen, die nur in einem engen Spannungsfenster umschalten, wird die sonst übliche Beeinträchtigung durch Störpfade (Sneak Paths) drastisch reduziert. So lassen sich hohe Genauigkeiten und eine stabile Funktion auch in dieser dichten und unselektierten Speicherarchitektur erzielen. Das Ergebnis ist eine sehr gut kontrollierbare und reproduzierbare Manipulation der Polarisationszustände, die als Grundlage für die Differenzialberechnung dient. Die Eigenschaften der P(VDF-TrFE) Polymerfilme sind hierbei besonders vorteilhaft.
Sie bieten eine chemische Stabilität, Biokompatibilität und hervorragende Ferroelectric-Eigenschaften, die durch kristalline β-Phasen lamellarer Struktur hervorgerufen werden. Die Polarisationsumkehr erfolgt über die Bewegung von zweidimensionalen Domänenwänden, deren Geschwindigkeit gemäß eines thermodynamischen Creep-Modells stark vom angelegten elektrischen Feld abhängt. Diese nichtlineare Abhängigkeit lässt sich für präzise und störunanfällige Schaltvorgänge nutzen, die für die fehlerfreie Differenzialrechnung unerlässlich sind. Die praktische Anwendung des Ferroelectric Differentiators zeigt sich eindrucksvoll in der Lösung mathematischer Ableitungsfunktionen. Indem Werte einer Funktion binär über die Polarisationszustände einzelner Kondensatoren dargestellt werden, können Differenzwerte analog zum differenziellen Quotienten mittels der gemessenen Umschaltströme direkt ermittelt werden.
Dies wurde beispielhaft anhand einer parabelförmigen Funktion demonstriert, aus der sowohl erste als auch zweite Ableitungen präzise berechnet werden konnten. Diese Methode offenbart nicht nur eine neuartige Art der mathematischen Berechnung, sondern ermöglicht auch Prozesszeiten im Mikrosekundenbereich bei extrem niedrigem Energieverbrauch von Bruchteilen eines Femptojoule pro Operation. Neben der mathematischen Funktionalität liegt ein besonders vielversprechendes Einsatzfeld in der Bildverarbeitung und Bewegungserkennung. Hier werden Bildinformationen von CMOS-Bildsensoren als Spannungsimpulse an die Kondensatorarray eingespeist, wobei jeder Kondensator einem Bildpixel entspricht. Aufgrund der Nichtflüchtigkeit der Polarisationszustände reagieren nur jene Kondensatoren mit Stromspitzen, deren Polarisationsrichtung vom vorigen Zustand abweicht – also wo sich der Bildinhalt zwischen zwei Frames verändert hat.
Diese Differenzialsignale stellen im Sinne eines mechanischen Bewegungssensors die Bewegungsinformation in Echtzeit bereit, ohne dass dabei zwischen Speicher und Prozessor Daten verschoben oder zwischengespeichert werden müssten. Praktisch wurde dies an Beispielen wie der Bewegungsverfolgung eines Balls oder Fahrzeugen gezeigt, wobei das System problemlos schnelle Frequenzen bis zu 1 MHz verarbeitet, was für die meisten Echtzeit-Visionsysteme vollkommen ausreicht. Die Potentiale können mit anderen Ferroelectric-Materialien, die Umschaltzeiten im Sub-Pikosekundenbereich erreichen, sogar noch gesteigert werden. Ein weiterer großer Vorteil ist die hervorragende Retentionsfähigkeit der Polymerfilme, die theoretisch über mehrere Tage die Polarisationszustände speichert, was wiederum Bilddifferenzierungen über lange Zeiträume hinweg ermöglicht. Dies eröffnet Anwendungen in der industriellen Qualitätskontrolle, etwa bei der Defekterkennung auf Siliziumwafern, oder in Sicherheitsanwendungen zur Überwachung von Objekten über sehr große Zeitintervalle – ohne dass große Mengen alter Bilddaten zwischengespeichert werden müssen.
Insgesamt präsentiert die Kombination aus nichtlinearer Ferroelectric-Domänendynamik und Crossbar-Array-Technologie eine selektorfreie, hochskalierbare Plattform für in-memory Differenzialoperationen. Die systematische Eliminierung des Sneak-Path-Problems in passiven Arrays erleichtert zudem die kostengünstige Fertigung großflächiger Speicher- und Rechnersysteme, die hochparallele und analoge Datenverarbeitung beherrschen. Aus Sicht energetischer Effizienz setzt die Technologie neue Maßstäbe, da sie die sonst unvermeidlichen teuren Speicherzugriffe und Datenübertragungen massiv reduziert. Die Berechnung erfolgt direkt auf der Ebene gespeicherter Daten, wodurch eine Einsparung von bis zu sechs Größenordnungen gegenüber klassischen CPU- und GPU-basierten Berechnungen möglich wird. Daraus ergeben sich besonders für das Internet der Dinge und Edge-Anwendungen im Bereich von Sensorik, autonomem Fahren oder künstlicher Intelligenz erhebliche Vorteile.
Während dieser Ansatz bereits vielversprechend ist, gibt es auch Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Zum einen muss die Variation in den physikalischen Eigenschaften der einzelnen Kondensatoreinheiten weiter reduziert werden, um höchste Genauigkeit bei komplexen Berechnungen zu gewährleisten. Hier könnten Unterstützungscircuits und Kalibrierungsverfahren helfen, wie bereits in ersten Studien demonstriert wurde. Zum anderen ist die Integration in bestehende Systemarchitekturen und die Entwicklung von skalierbaren Produktionsverfahren ein Maßstab für die Marktreife. Nichtsdestotrotz markiert der In-Memory Ferroelectric Differentiator einen Meilenstein in der Weiterentwicklung von energieeffizienter, analoger und paralleler Datenverarbeitung.
Die Idee, Rechnen und Speichern an einem Ort zu kombinieren und dabei bioinspirierten Prinzipien zu folgen, könnte die Art und Weise, wie zukünftige intelligente Systeme Daten verarbeiten, grundlegend verändern. Die Perspektiven dieses Forschungsfeldes sind vielversprechend. Verbesserungen in den Materialwissenschaften, etwa der Einsatz hafnium-basierter Ferroelectric-Schichten, könnten die Betriebsspannungen weiter senken und somit die Energieeffizienz zusätzlich erhöhen. Auch die Kombination mit anderen neuartigen Speichertechnologien oder Integration in 3D-Architekturen erlaubt eine Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten und steigert die Rechenleistung nochmals. Zusammenfassend bietet der In-Memory Ferroelectric Differentiator eine innovative Plattform, um komplexe Differenzialoperationen schnell, akkurat und ressourcenschonend durchzuführen.
Mit Anwendungen von mathematischen Verfahren über Bild- und Bewegungsverarbeitung bis hin zu industriellen Qualitätskontrollen trägt diese Technologie maßgeblich zur Realisierung intelligenter, autonomer Systeme bei, die künftig in vielen Lebensbereichen eine Schlüsselrolle spielen dürften.