In den vergangenen Jahren hat sich die Rolle sozialer Medien im Leben von Jugendlichen tiefgreifend verändert. Die meisten Jugendlichen heutzutage sind aktive Nutzer von Plattformen wie Instagram, TikTok, Snapchat oder Facebook. Soziale Medien fungieren als zentrale Kommunikationsinstrumente, unterhalten, ermöglichen Selbstdarstellung und soziale Vernetzung. Doch der intensive Umgang mit diesen Medien wirft auch Fragen zur Auswirkung auf die psychische Gesundheit auf, zumal die Zahl der Jugendlichen mit diagnostizierten psychischen Erkrankungen in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, in den letzten Jahren angestiegen ist. Eine kürzlich veröffentlichte großangelegte Studie aus dem Vereinigten Königreich liefert differenzierte Einblicke in das Verknüpfungsverhältnis von sozialer Mediennutzung und psychischer Gesundheit bei Jugendlichen zwischen 11 und 19 Jahren.
Der besondere Mehrwert dieser Untersuchung besteht darin, dass psychische Erkrankungen anhand standardisierter klinischer Diagnosen erhoben wurden, statt auf subjektiven Selbstauskünften oder reinen Symptombögen zu basieren. Somit bietet das Studienergebnis eine fundierte Grundlage, um die Unterschiede im Nutzungsverhalten zwischen Jugendlichen mit und ohne psychische Gesundheitsstörungen zu untersuchen und daraus Konsequenzen für Forschung und Praxis abzuleiten. Die Studie bestätigt zunächst einen häufig vermuteten Unterschied: Jugendliche mit einer diagnostizierten psychischen Erkrankung verbringen im Durchschnitt mehr Zeit auf sozialen Medien als Gleichaltrige ohne solche Diagnosen. Diese bis zu mehr als zwei Stunden tägliche Differenz im Umgang mit sozialen Plattformen ist nicht nur statistisch signifikant, sondern auch als bedeutsam zu bewerten. Das heißt, es handelt sich um belegbare und relevante Befunde, die nicht durch Zufall erklärt werden können.
Dabei ist es wichtig zu bedenken, dass die Datenerhebung durch Selbstangaben erfolgte, sodass nicht klar ist, ob Jugendliche mit psychischen Erkrankungen tatsächlich objektiv mehr Zeit online verbringen oder ob sie ihre Nutzungszeit subjektiv höher einschätzen. Aus bisherigen Forschungen weiß man, dass Selbstwahrnehmungen und tatsächliche Nutzungsdaten oft nicht exakt übereinstimmen. Unabhängig davon weist die erhöhte Zeit in sozialen Medien auf eine veränderte Interaktion mit digitalen Plattformen hin, die als möglicher Risikofaktor, aber auch als potenzielle Ressource betrachtet werden kann. Wesentlich differenzierter wurde in der Studie die Qualität der Nutzung betrachtet. Sozialmediale Aktivitäten können belastend oder unterstützend wirken, je nachdem, wie sie erlebt werden.
Jugendliche mit psychischen Erkrankungen fühlen sich etwa weniger zufrieden mit der Anzahl ihrer Online-Freundschaften, was auf Probleme bei der sozialen Integration oder auf Schwierigkeiten in der Freundschaftspflege auch im digitalen Raum hinweist. Dies ist nicht überraschend, da soziale Isolation und Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Kontakt zentrale Merkmale vieler psychischer Erkrankungen im Jugendalter sind. Die Art und Weise, wie Jugendliche soziale Medien nutzen, unterscheidet sich ferner je nach Art der Diagnosen. Die Studie unterscheidet zwischen sogenannten internalisierenden Erkrankungen, wie Depressionen oder Angststörungen, und externalisierenden Erkrankungen, darunter zum Beispiel Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Verhaltensstörungen. Jugendliche mit internalisierenden Erkrankungen zeigen nicht nur ein gesteigertes Nutzungsverhalten in quantitativer Hinsicht, sondern sind auch stärker anfällig für negative psychologische Prozesse auf sozialen Plattformen.
Sie berichten vermehrt von sozialem Vergleich, also dem Gefühl, sich ständig mit anderen messen zu müssen, was insbesondere hochgradig idealisierte Darstellungen anderer Nutzerinnen und Nutzer auf sozialen Medien verstärken. Diese sozialen Vergleichsprozesse tragen häufig dazu bei, das Selbstbild negativ zu beeinflussen und die Stimmung zu trüben, was wiederum die bestehenden Symptome verschlechtern kann. Darüber hinaus lassen sich bei Jugendlichen mit internalisierenden Erkrankungen auch intensivere emotionale Reaktionen auf Online-Feedback beobachten. Likes, Kommentare und andere Formen von Rückmeldungen wirken stärker auf die Gefühlslage ein. Viele dieser Jugendlichen fühlen sich durch die Bewertungen belasteter und versuchen zugleich ehrlicher oder authentischer Selbstoffenbarung auf sozialen Netzwerken eher aus dem Weg zu gehen, was auf Engagementhemmnisse und ein gestörtes Selbstbild hindeutet.
Im Gegensatz dazu ist das Bild bei Jugendlichen mit externalisierenden Erkrankungen weniger komplex. Hier zeichnet sich vor allem ein gesteigerter Zeitaufwand auf sozialen Medien ab, ohne dass sich in den anderen qualitativen Engagement-Dimensionen bedeutende Unterschiede im Vergleich zu Jugendlichen ohne psychische Erkrankungen zeigen. Diese Befunde legen nahe, dass die social-media-bezogenen Probleme bei externalisierenden Störungen möglicherweise weniger mit introspektiven oder emotionalen Prozessen verbunden sind, sondern eher mit impulsivem Verhalten und möglicherweise einem Mangel an Selbstregulation. Erstaunlich ist ein weiteres Ergebnis: Jugendliche mit internalisierenden Erkrankungen berichteten selbst von einem größeren Gefühl der fehlenden Kontrolle über ihre Zeit auf sozialen Medien, was zuvor eher mit externalisierendem Verhalten assoziiert wurde. Dieses Phänomen erfordert weitere Forschung dahingehend, ob es sich um ein spezifisches Symptom dieser Erkrankungsgruppe handelt oder vielleicht auch Ausdruck einer Überforderung im Umgang mit digitalen Medien ist.
Die Bedeutung dieser differenzierten Erkenntnisse liegt in ihrem Wert für eine zielgerichtete klinische Praxis und eine evidenzbasierte Politikgestaltung. Sie unterstreichen, dass pauschale Einschränkungen der Social-Media-Nutzung möglicherweise nicht zielführend sind. Stattdessen sollten Ansätze verfolgt werden, die den variierenden Bedürfnissen und Risiken der Jugendlichen Rechnung tragen und auf spezifische psychische Profile eingehen. Therapeutisch könnten beispielsweise Interventionen in Erwägung gezogen werden, die gezielt darauf abzielen, Jugendliche mit internalisierenden Erkrankungen in der Bewältigung sozialer Vergleichsprozesse zu unterstützen oder den Umgang mit emotional belastendem Feedback in sozialen Medien zu verbessern. Psychoedukative Maßnahmen könnten dazu beitragen, Bewusstsein über diese Risiken zu schaffen und Strategien zu vermitteln, um den Einfluss sozialer Medien auf die Stimmung gezielt zu regulieren.
Auch in der Forschung bieten die Erkenntnisse wichtige Ansatzpunkte. Es bedarf longitudinaler und experimenteller Studien, um kausale Zusammenhänge zwischen der Nutzung sozialer Medien und der Entwicklung oder Verschlechterung psychischer Erkrankungen präziser zu ergründen. Darüber hinaus sollten künftige Untersuchungen noch stärker differenzieren, welche Arten von Aktivitäten auf sozialen Medien besonders relevant oder gefährlich sind. Dabei spielen Faktoren wie Art der Plattform, Nutzungsmuster, Nutzungsintensität, aber auch individuelle Merkmale der Jugendlichen wie Alter, Geschlecht oder kultureller Hintergrund eine Rolle. Die Befunde erinnern zudem daran, dass soziale Medien keineswegs ausschließlich eine Risikenquelle darstellen.
Soziale Vernetzung, Freundschaften und positive Selbstoffenbarung können ausgleichende und schützende Effekte haben, insbesondere in sozial isolierten oder belasteten Gruppen. Deshalb ist es entscheidend, eine balancierte Sichtweise einzunehmen und die Potentiale für positive Entwicklungen neben den Risiken sichtbar zu machen. Abschließend lässt sich festhalten, dass Sozialmedien ein ambivalentes Phänomen sind, dessen Erfahrung und Auswirkung sich sowohl nach psychischer Gesundheit als auch nach den individuellen Nutzungsmustern richtet. Für Jugendliche mit psychischen Erkrankungen gilt es, ihre digitale Umwelt und Interaktionen genauer zu verstehen, um passgenaue Hilfsangebote zu entwickeln. Gesellschaftlich sollte das Ziel sein, digitale Räume zu schaffen, die Jugendliche nicht nur anziehen, sondern auch schützen, fördern und in ihrer individuellen Entwicklung unterstützen.
Diese Erkenntnisse aus Großbritannien geben wichtige Impulse auch für die deutschsprachige Jugendarbeit und Gesundheitsversorgung und zeigen Wege auf, wie pädagogische Fachkräfte, Eltern und klinisch Tätige künftig mit dem komplexen Thema der sozialen Medien und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen besser umgehen können.