Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz verändert Branchen und Geschäftsmodelle weltweit. Insbesondere im Bereich der vertikalen KI – maßgeschneiderte KI-Anwendungen für spezialisierte Branchen – offenbart sich ein spannender Wettbewerb. Der Kern dieser Entwicklung dreht sich um die Frage: Wer hat den größeren Vorteil im Rennen um die Vorherrschaft im vertikalen KI-Markt – die, die über exklusive Datenbestände verfügen, oder die, die einzigartige Prozesse beherrschen und optimieren können? Wenn wir die Fortschritte bei großen vortrainierten Modellen betrachten, wird klar, dass die reine Intelligenz, also die Fähigkeit von KI-Modellen Wissen zu abstrahieren und anzuwenden, zunehmend zur Commodity wird. Verschiedene Labore entwickeln konkurrierende Varianten ähnlicher Modelle und es gehört bald zum Standardangebot, über leistungsfähige KI-Grundlagen zu verfügen. Damit verschiebt sich der Wettbewerb auf die Nutzung und Anwendung dieser Intelligenz in spezifischen Verticals.
Unternehmen, die über massive, proprietäre Datenbestände verfügen, stehen im Vorteil, wenn der Wert eines vertikalen KI-Produktes maßgeblich auf der Datenbasis beruht. Solche Daten sind oft über Jahre oder Jahrzehnte gewachsen, oft proprietär und schwer zu reproduzieren. Sie ermöglichen es, KI-Modelle gezielt auf relevante Domäneninformationen zu trainieren und zu verfeinern. So profitieren vor allem etablierte Firmen in Bereichen wie Finanzservices, Gesundheitswesen oder industrieller Fertigung. Ihre Datenhoheit und das damit verbundene Expertenwissen schaffen eine Barriere für Neueinsteiger, die mit eigenen Modellen starten.
Doch wo genau liegt der Nachteil dieser großen Konzerne? Während ihre Datenbestände ihre Stärke sind, haftet den gleichen Unternehmen oft eine gewisse Trägheit an. Die internen Prozesse sind durch komplexe Organisationsstrukturen, Bürokratie, aufwendige Governance und Risikominderungsstrategien geprägt. Dieses Umstand erschwert schnelle Anpassungen, Innovationen oder gar radikale Neuentwicklungen von Abläufen. Innovation erfordert jedoch meist genau dies: agile, kreative und mutige Experimente, die in starren Unternehmensstrukturen eingeschränkt sind. Hier setzen Start-ups und neue Marktteilnehmer an.
Ihre Agilität ermöglicht es ihnen, Prozesse neu zu denken, von Grund auf zu optimieren und die Gestaltung der Arbeitsabläufe an der Spitze moderner KI-Fähigkeiten auszurichten. Der Wettbewerbsvorteil liegt in der Fähigkeit, einzigartige, auf Prozessinnovationen entwickelten Lösungen anzubieten. Sie sind nicht zwangsläufig auf bereits vorhandene Datensätze angewiesen, sondern nutzen Prozessverständnis und kreative Workflows, um durch bessere Ausführung Mehrwert zu schaffen. Ein zentraler Punkt ist, dass Prozesse oft auf implizitem, schwer codierbarem Wissen basieren. Das sogenannte „tacit knowledge“ — das Wissen um die Feinheiten einer Tätigkeit, das nicht leicht in Worte zu fassen oder in Datenbanken zu erfassen ist.
Genau diese Tiefenintelligenz fällt KI-Systemen tendenziell schwer, da sie zwar Daten verarbeiten und darauf aufbauend lernen können, aber die subtilen menschlichen Nuancen, etwa der perfekte Ablauf einer komplexen Dienstleistung oder die individuelle Abstimmung mehrerer Arbeitsschritte, nur schwer automatisiert erfassbar sind. In diesem Spannungsfeld wird die Vertikale Differenzierung besonders spannend. Die „Secret Sauce“ der besten vertikalen KI-Anwendungen entsteht dort, wo kleine Details, ausgeklügelte Abläufe, Teamarbeit und nicht zuletzt menschliche Erfahrung miteinander verschmelzen. Die wirkliche Kunst und Herausforderung für Unternehmer und Entwickler besteht darin, diese oft schwer fassbare Prozessintelligenz mit der computergestützten Leistungsfähigkeit von KI zu kombinieren und so nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu generieren. Aus strategischer Perspektive lässt sich beobachten, dass Firmen mit stark datengetriebenem Geschäftsmodell auf langfristiges Investment in Datenpflege und -akkumulation setzen sollten.
Der Aufbau von Datenqualität, die Sicherung der Datenhoheit sowie die kontinuierliche Optimierung der darauf basierenden KI-Modelle sind fundamentale Erfolgsfaktoren. Unternehmen, die es schaffen, ihre Datensätze mit neuen Technologien immer weiter zu veredeln, werden tendenziell marktbeherrschend im jeweiligen Vertical. Auf der anderen Seite sollten Start-ups und Innovatoren vor allem dort aktiv sein, wo Prozesswissen und operative Flexibilität zählen. Schnell veränderliche Märkte, Nischenbereiche oder Dienstleistungen mit hoher Individualität erlauben neue Ansätze, die nicht zwangsläufig auf riesigen Datenfundamenten fußen müssen, sondern auf intelligenten Prozess-Neuerungen basieren. Ihre Vorteile liegen in der Anpassungsfähigkeit und dem Mut, etablierte Systeme radikal zu überdenken.
Beide strategischen Ansätze – Datenorientierung und Prozessorientierung – sind damit nicht zwangsläufig Konkurrenzmodelle, sondern können sich sehr gut ergänzen. Oft entstehen hybride Geschäftsmodelle, die auf einem soliden Datengrundgerüst aufbauen, zugleich aber den Schlüssel über neuartige Prozessgestaltung finden, um die KI-Integration effektiver zu machen. Unternehmen, die diesen Balanceakt meistern, werden sich als Leader im vertikalen KI-Rennen erweisen. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Zukunft der vertikalen KI von der Fähigkeit abhängt, Daten und Prozesse nicht isoliert zu betrachten, sondern als sich gegenseitig verstärkende Elemente. Die kluge Kombination proprietärer Daten mit tiefem Prozessverständnis und einem Menschen-zentrierten Design wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil im Zeitalter der spezialisierten künstlichen Intelligenz.
Während große Konzerne auf ihre Daten setzen und diese als Fundamente ihrer Stärke sichern, haben Start-ups im Prozessbereich weiterhin die besten Chancen, durch Agilität und Innovation zu überzeugen und neue Märkte zu definieren.