Der Erdmond ist seit Jahrtausenden Gegenstand wissenschaftlicher Faszination und Forschung. Trotz intensiver Studien bleiben viele Fragen zu seiner inneren Struktur und Entwicklung offen. Eine der zentralen Entdeckungen der jüngeren Zeit betrifft die thermische Asymmetrie in seinem Mantel, die erstmals durch die Untersuchung seiner Reaktion auf die regelmäßigen Gezeitenkräfte der Erde ermittelt wurde. Diese Erkenntnis verändert das Verständnis der Mondstruktur grundlegend und trägt dazu bei, seine komplexe geologische Geschichte besser einordnen zu können. Die Grundlage für die neue Erkenntnis bildet die Analyse der sogenannten Gezeiten-Love-Zahlen, die das Maß der Verformung eines Himmelskörpers unter äußerer Gravitationswirkung beschreiben.
Konkret sind die Messungen des NASA-GRAIL-Missionsdatenmaterials in Kombination mit fortgeschrittenen Modellierungsverfahren entscheidend. Die GRAIL-Sonden lieferten sehr genaue Daten zur Gravitationsfeldvariabilität des Mondes, die wiederum Rückschlüsse auf dessen innere Struktur zulassen. Untersucht wurden besonders die harmonischen Komponenten des Gravitationsfeldes des Mondes, namentlich die sogenannten dritten Ordnung Love-Zahlen (k3). Bei einem vollkommen homogenen, kugelsymmetrischen Mondmodell wäre der Wert von k3 relativ niedrig. Die nunmehr ermittelten Werte lagen jedoch deutlich höher als erwartet – rund 72 Prozent über dem spherisch-symmetrischen Niveau.
Dies lässt darauf schließen, dass der Mondmantel keine einheitliche Struktur aufweist, sondern eine latente Laterale Heterogenität besitzt. Die Forscher führen diese Heterogenität auf eine Temperaturdifferenz zwischen der erdzugewandten und der erdabgewandten Seite des Mondes zurück. Konkret vermuten sie, dass der Mantel auf der erdzugewandten Seite um 100 bis 200 Kelvin wärmer ist als auf der gegenüberliegenden Hemisphäre. Diese thermische Asymmetrie wurde vorher durch Modelle postuliert, konnte aber erst jetzt durch direkte geophysikalische Messungen bestätigt werden. Interessanterweise korrespondiert diese tiefe thermische Differenz mit den geologischen Beobachtungen der Oberflächendefekte, insbesondere der sogenannten Mare-Regionen, die auf der erdzugewandten Mondseite erheblich zahlreicher und größer sind.
Die Marschböden der Mare basieren vermutlich auf magmatischen Ereignissen, die durch wärmere Mantelbereiche begünstigt wurden. Somit stärkt die thermische Asymmetrie das Verständnis zur Entstehung der Gezeiten- und Magnetfelddynamik, der Vulkanismusgeschichte und weiterer interner Prozesse des Mondes. Die hohe Sensitivität der kubisch-harmonischen k3-Komponenten ermöglichte den Wissenschaftlern erstmals, Signale aus der Tiefe des Mantels herauszufiltern, die oberflächliche Störfaktoren überdecken. Die detaillierte räumliche Auflösung der GRAIL-Daten gab somit die Möglichkeit, eine Art „Tidal Tomographie“ des Mondinneren durchzuführen – eine Methode, die darauf abzielt, interne Schichten anhand ihrer Reaktion auf periodische Gravitationskräfte zu kartieren. Ein weiterer bedeutender Aspekt ist die Unterscheidung zwischen thermisch bedingten und kompositorischen Ursachen der beobachteten Asymmetrie.
Während eine veränderte Mantelzusammensetzung theoretisch ebenfalls Unterschiede in der Schermoduluskraft verursachen könnte, würden solche Veränderungen auch die Dichte merklich beeinflussen und somit eine größere Verschiebung des Schwerpunkts des Mondes hervorrufen. Diese Verschiebung wurde durch Beobachtungen jedoch nicht bestätigt, was die thermische Erklärung als wahrscheinlicher erscheinen lässt. Aber wie genau trägt die thermische Asymmetrie zu den Messungen bei? Die Elastizität und der Schermodul sind temperaturabhängig, das heißt, wärmeres Gestein besitzt ein geringeres Steifemodul als kühleres. Ein wärmerer nearside-Mantel führt folglich zu einer etwas geringeren Schermodul-Elastizität in diesem Bereich, was wiederum das Gravitationsfeld und die Gezeitenreaktion des Mondes messbar beeinflusst. Die Auswirkungen der thermischen Anomalie sind nicht nur für das Verständnis der Mondgeologie von Bedeutung, sondern zeigen auch potenzielle Verbindungen zu den sogenannten tiefen Mondbeben.
Diese Erschütterungen treten regelmäßig in der Mondkruste auf und könnten durch Spannungen, die aus den thermischen Unterschieden im Mantel resultieren, moduliert werden. Eine erhöhte Wärme im nearside-Mantel könnte die Entstehung kleiner Mengen partiellen Schmelzes begünstigen, der als Schwachstelle in der Gesteinsstruktur fungiert und so Seismizität fördern kann. Langfristig betrachtet bietet das Ergebnis auch Einsichten in die evolutionären Prozesse des Mondinneren. Vor über drei bis vier Milliarden Jahren könnte die thermische Asymmetrie wesentlich dazu beigetragen haben, die Konzentration von Vulkanismus auf der erdzugewandten Hemisphäre zu steuern. Die Abkühlung des Mondmantels und die damit verbundene Verlagerung der partiellen Schmelzzone in tiefere Bereiche erklärt das heutige Fehlen großer Ausbrüche, während dennoch Magmatismus in tieferen Schichten aktiv bleiben könnte.
Neben seiner Bedeutung für den Mond selbst eröffnet die Forschung auch Perspektiven für die Erforschung anderer Himmelskörper. Die erfolgreiche Anwendung von „tidaler Tomographie“ auf den Mond legt nahe, dass ähnliche Verfahren bei Mars, Enceladus oder Ganymed zum Einsatz kommen könnten, um deren innere Strukturen besser zu verstehen – insbesondere dort, wo direkter Landebodenseismik zugänglich oder durch Orbitermissionen ähnliche Datengewinnung möglich ist. Die verwendete Methode setzt dabei nicht auf physische Seismometer auf der Oberfläche, sondern nutzt die hochpräzisen Wiederholungsmessungen des Gravitationsfelds, das sich aufgrund von elastischen Verformungen infolge periodischer Gezeitenkräfte verändert. Dies bietet eine nicht-invasive, aber dennoch hochempfindliche Technik zur Untersuchung der inneren Dynamik und heterogenen Strukturen, die mit traditionellen Methoden schwer zu messen sind. Die komplexen Datenauswertungen erforderten den Einsatz moderner Datenverarbeitungsalgorithmen und umfangreiche Computerkapazitäten.
Die Erstellung eines detaillierten Gravitationsfeldmodells bis zum Grad 1800 in der sphärischen Harmonischen-Analyse entspricht einer extrem hohen räumlichen Auflösung und erforderte die Verarbeitung von Millionen von Parameterkoeffizienten. Die Nutzung des NASA Pleiades Supercomputers war hierfür essenziell. Die Analyseergebnisse wurden mit numerisch-experimentellen Methoden der Materialwissenschaften verglichen, bei denen die temperaturabhängigen elastischen Eigenschaften von Mineralien wie Olivin, häufigster Bestandteil des Mantels, herangezogen wurden. Auf diese Weise konnten die wissenschaftlichen Teams die erforderliche Temperaturdifferenz und deren Einfluss auf elastische Parameter konkret quantifizieren. Um die gewonnenen Erkenntnisse zu validieren, wurden auch alternative Erklärungsansätze überprüft, etwa die Möglichkeiten einer unterschiedlichen Wasser- oder Eisgehaltsverteilung.
Diese ergaben jedoch ebenfalls nur geringeren Einfluss oder führten zu Diskrepanzen mit beobachteten Größendaten, was die thermische Hypothese weiterhin stärkt. Zukünftige Missionen zum Mond, etwa mit geophysikalischen Netzwerken von Seismometern auf der Rückseite des Mondes, werden voraussichtlich weitere Belege für die thermische Asymmetrie liefern oder deren räumliche Ausdehnung noch genauer charakterisieren. Zudem können Messungen des Mantelmagnetfeldes helfen, den Einfluss teilgeschmolzener Schichten besser abzuschätzen. Insgesamt markiert die Entdeckung der thermischen Asymmetrie im Mondmantel durch monatliche Gezeitenreaktionen einen bedeutenden Fortschritt in der Planetengeologie und bietet ein neues Fenster in die komplexen inneren Prozesse des Mondes. Sie unterstreicht, wie moderne Messtechniken und innovative Analyseverfahren das Verständnis selbst gut erforschter Himmelskörper revolutionieren können.
Angesichts dieser Entwicklungen bleibt der Mond nicht nur ein Symbol der Menschheitsgeschichte, sondern weiterhin ein faszinierendes Labor für die Erforschung planetarischer Prozesse, mit unmittelbaren Verknüpfungen zu Verstehen der Erde und anderer terrestrischer Planeten in unserem Sonnensystem.