Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, besser bekannt als SSRIs, gehören zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten gegen Depressionen und Angststörungen. Ihre Wirkung basiert auf der Hemmung des Serotonintransports im Gehirn, was die Verfügbarkeit dieses Neurotransmitters erhöht und damit depressive Symptome lindert. Obwohl SSRIs als relativ sicher gelten, rücken in jüngster Zeit ihre Nebenwirkungen, insbesondere auf das Herz-Kreislauf-System, verstärkt in den Fokus der Forschung. Neue wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass SSRIs eine potenzielle kardiotoxische Wirkung entfalten, die eng mit einer Beeinträchtigung der Mitochondrienfunktion und der Disorganisation der Sarcomere in Herzmuskelzellen zusammenhängt. Diese Entdeckungen werfen ein neues Licht auf bisher unterschätzte Risiken, insbesondere in der Schwangerschaft und bei langfristiger Anwendung.
Die Relevanz der Herzgesundheit im Zusammenhang mit SSRI-Einnahme ist nicht nur klinisch bedeutsam, sondern auch von großer gesellschaftlicher Tragweite, da SSRIs weltweit millionenfach angewendet werden, auch bei schwangeren Frauen. Dabei ist bekannt, dass die Anwendung von SSRIs im ersten Trimester das Risiko kongenitaler Herzfehler erhöhen kann. Die zugrundeliegenden Mechanismen wurden jedoch lange Zeit nur unzureichend verstanden. Hier kommen moderne Forschungsmethoden mit menschlichen pluripotenten Stammzellen ins Spiel, die differenzierte 2D-Kardiomyozyten und komplexe 3D-Herzorganoide erzeugen. Diese Modelle simulieren die frühe menschliche Herzentwicklung und erlauben detaillierte Einblicke in die zellulären und molekularen Veränderungen unter SSRI-Einfluss.
Im Kern der kardiotoxischen Wirkung stehen mitochondriale Störungen. Die Mitochondrien gelten als Kraftwerke der Zelle, da sie den Großteil des benötigten ATP durch oxidative Phosphorylierung bereitstellen, besonders in energieintensiven Zellen wie den Kardiomyozyten. Bei SSRI-Exposition zeigen sich eine reduzierte mitochondriale Atmung und eine verminderte ATP-Produktion, verbunden mit einem Anstieg reaktiver Sauerstoffspezies (ROS). Diese oxidativen Stresssignale können zu Schäden an mitochondrialer DNA führen und die zelluläre Energieversorgung dramatisch beeinträchtigen. Der Destabilisierungsprozess der mitochondriale Netzwerkstruktur, dargestellt durch kleinere und weniger verzweigte Mitochondrien, deutet auf eine gestörte mitochondriale Dynamik hin, welche Essenziell für die Herzmuskelzellenfunktion ist.
Zusätzlich zur mitochondrialen Dysfunktion tragen Veränderungen in der Organisation der Sarcomere maßgeblich zur SSRI-induzierten Kardiotoxizität bei. Sarcomere sind die Grundeinheiten des Herzmuskels, verantwortlich für die Kontraktion und somit die Pumpfunktion des Herzens. Untersuchungen zeigen, dass SSRIs die Expression essenzieller Sarcomerproteine wie MYH7 – ein Myosin-Schwerkettenprotein – erheblich senken. Diese Veränderungen manifestieren sich in einer verminderten Sarcomerlänge und einer allgemeinen Desorganisation der Muskelstruktur, was die mechanische Funktion der Herzmuskelzellen beeinträchtigt und strukturelle Herzprobleme begünstigen kann. Interessanterweise lässt sich in den 3D-Kardiac-Organoiden nachweisen, dass SSRIs nicht nur mitochondriale und sarcomerische Strukturen beeinflussen, sondern auch biologische Prozesse wie die Angiogenese und Herzentwicklung verändern.
So wurde eine Zunahme von CD31-exprimierenden Endothelzellen beobachtet, was auf eine Aktivierung der Blutgefäßbildung hindeutet, während die Expression des für die Herzentwicklung wichtigen WT1-Gens abnahm. Diese Befunde lassen vermuten, dass SSRIs die komplexe Entwicklung des Herzgewebes beeinflussen und möglicherweise eine Fehlregulation der vaskulären sowie myokardialen Reifung verursachen. Auf molekularer Ebene weisen Transkriptom-Analysen auf eine differenzierte Genregulation hin, die über mehrere Signalwege mit ROS-Produktion, mitochondrialer Fission und Sarcomerorganisation verknüpft ist. Das Gen PGAM5 steht stellvertretend für mitochondriale Reaktionen auf Zellstress, da es in der Regulation der mitochondrialen Fission und Mitophagie involviert ist – Prozesse, die bei SSRI-Exposition verstärkt aktiv zu sein scheinen. Ebenso zeigt die reduzierte Expression von sarcomerenspezifischen Genen wie MYH7 und ANKRD1 eine Verschiebung der Genexpressionsmuster, die die strukturelle Integrität und Funktion des Myokards beeinträchtigen.
Die klinische Bedeutung dieser Ergebnisse wird besonders im Zusammenhang mit der Anwendung von SSRIs während der Schwangerschaft deutlich. Die Medikamente und ihre Metabolite können die Plazentaschranke überwinden und so den Fötus erreichen, was das Risiko für angeborene Herzdefekte erhöhen kann. Epidemiologische Studien stützen diese Beobachtung, indem sie eine erhöhte Inzidenz kardiovaskulärer Anomalien bei Kindern von Müttern mit SSRI-Therapie aufzeigen. Die genaue Risikoeinschätzung bleibt jedoch individuell verschieden, da der intrauterine Medikamentenspiegel und die genetische Prädisposition eine Rolle spielen. Darüber hinaus verursachen SSRIs bei Erwachsenen verschiedene kardiovaskuläre Nebenwirkungen, darunter Arrhythmien, Bradykardien und entzündliche Prozesse, die wiederum das Risiko für Atherosklerose und Herzinsuffizienz steigern können.
Die mitochondrialen und sarcomerischen Veränderungen, die im Rahmen der SSRI-Toxizität ermittelt wurden, bieten plausible biologische Erklärungen für diese klinischen Manifestationen. Aus therapeutischer Sicht ist es wichtig, die Balance zwischen den psychiatrischen Vorteilen der SSRIs und dem potenziellen kardiovaskulären Risiko zu berücksichtigen. Die Erkenntnis, dass mitochondrial- und sarcomerbezogene Mechanismen an der kardialen Toxizität beteiligt sind, eröffnet innovative Ansätze zur Entwicklung sichererer Antidepressiva oder ergänzender Therapien, die diese Nebenwirkungen minimieren. Hier könnten gezielte Antioxidantien, Mitochondrien-Stabilisatoren oder Moleküle, die die Sarcomerstruktur schützen, zukünftig eine Rolle spielen. Die Nutzung von humanen pluripotenten Stammzell-basierten Modellen ist dabei ein großer Fortschritt, um Arzneimitteltoxizität frühzeitig evaluieren zu können.
Diese Systeme ermöglichen es, die komplexen Entwicklungsprozesse des Herzens und die Wechselwirkungen verschiedener Zelltypen in vitro detailliert zu analysieren. Im Vergleich zu tierexperimentellen Modellen bieten sie eine präzisere Vorhersage der menschlichen Verträglichkeit und helfen, geschlechterspezifische und entwicklungsbedingte Unterschiede in der Medikamentenwirkung zu berücksichtigen. Abschließend lässt sich festhalten, dass SSRIs durch die Induktion mitochondrialer Dysfunktion und die Störung der Sarcomerorganisation eine bisher unterschätzte kardiotoxische Wirkung entfalten. Diese Mechanismen können die Herzleistung beeinträchtigen, strukturelle Defekte hervorrufen und die Entwicklung des Herzmuskels negativ beeinflussen. Die belangvollen Erkenntnisse aus den 2D- und 3D-Modellstudien tragen zu einem besseren Verständnis der Nebenwirkungen von SSRIs bei und unterstreichen die Notwendigkeit, die kardiovaskulären Risiken bei der Verschreibung dieser Medikamente sorgfältig abzuwägen.
Künftige Forschungen sollten sich auf Strategien konzentrieren, um diese Nebenwirkungen zu minimieren, gleichzeitig aber die effiziente Behandlung der psychischen Erkrankungen zu gewährleisten. Damit leistet die Forschung einen wichtigen Beitrag zur Optimierung der antidepressiven Therapie und zum Schutz der Herzgesundheit weltweit.