Radfahren gewinnt immer mehr an Bedeutung – nicht nur als umweltfreundliche und gesundheitsfördernde Fortbewegungsart, sondern auch als ein effizientes Verkehrsmittel in urbanen Räumen. Doch trotz all dieser Vorteile schrecken viele Menschen noch davor zurück, alltägliche Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen. Ein Hauptgrund dafür ist die Angst, von Autos zu nah überholt oder sogar angefahren zu werden. Dieses Sicherheitsbedürfnis ist berechtigt und fordert stetige Innovationen, die den Fahrradverkehr sicherer gestalten. Genau an dieser Stelle setzt ein neues technisches Konzept an: Der ProxiCycle-Sensor, ein am Fahrrad montiertes Gerät, das die Nähe vorbeifahrender Autos misst und dazu beitragen kann, sichere Radwege besser zu kartieren und sichtbar zu machen.
Die Problematik der aktuellen Kartierung von sicheren Fahrradstrecken liegt oftmals in der Verlässlichkeit der zugrunde liegenden Daten. Plattformen wie Google Maps und andere Navigationsdienste beruhen bisher hauptsächlich auf gemeldeten Fahrrad-Unfällen, um Gefahrenstellen zu markieren. Das führt unweigerlich zu einer Verzögerung: Sicherheitsbedenken werden erst sichtbar, wenn bereits mehrere Unfälle an einem bestimmten Ort passiert sind. Darüber hinaus bleiben kleinere Zwischenfälle, sogenannte „Fender-Bender“ oder knappes Überholen ohne Unfall, meist unberücksichtigt, obwohl sie das Sicherheitsgefühl stark beeinträchtigen können. Selbst subjektive Einschätzungen von Radfahrern, die in die Bewertung einfließen, sind oft durch persönliche Erfahrungen und Emotionen geprägt.
So kann eine belebte Hauptstraße, die aufgrund der Verkehrssituation als gefährlich gilt, in Wirklichkeit von Autofahrern eher mit großem Abstand passiert werden als eine ruhige Seitenstraße, die fälschlicherweise als sicher wahrgenommen wird.Der innovative ProxiCycle-Sensor wurde an der University of Washington unter Leitung von Joseph Breda entwickelt. Das preiswerte Gerät arbeitet mit Infrarot-Time-of-Flight-Sensoren, die direkt am linken Lenkerende des Fahrrads angebracht werden. Diese Sensoren erfassen exakt, wenn ein Objekt – besonders ein motorisiertes Fahrzeug – den Radfahrer seitlich oder von hinten auf weniger als einen Meter überholt. Die erfassten Daten werden per Bluetooth an eine App auf dem Smartphone des Fahrers übertragen, die dann mit einer speziellen Software auswertet, ob es sich bei dem erfassten Objekt um ein Auto handelt und ob der Abstand kritisch gering war.
So entsteht ein objektives Datum, das nicht nur Unfallzahlen ergänzt, sondern auch enge Überholvorgänge dokumentiert, die für einen Radfahrer gefährlich oder zumindest unangenehm sind.Die Vorteile dieser Technologie liegen auf der Hand: Erstmals kann eine breite, flächendeckende Datenbasis über tatsächliche Gefahrensituationen auf Fahrradstrecken entstehen, die nicht auf nachträglichen Unfallberichten oder subjektiven Einschätzungen beruht. Ein Netz von Radfahrern, die den ProxiCycle-Sensor nutzen, wäre in der Lage, eine realitätsnahe und tagesaktuelle Karte der sicheren und unsicheren Straßenabschnitte zu erstellen. Das könnte nicht nur bestehende Gefahrenbereiche offenlegen, sondern auch bisher unerkannte Problempunkte sichtbar machen. Kommunen, Verkehrsplaner und auch Radfahrer profitieren so von einer besseren Datenlage, die zielgerichtete Verbesserungen im Radverkehr möglich macht.
Erste Tests in Seattle zeigten vielversprechende Resultate. Sieben Versuchspersonen fuhren mit ProxiCycle und gleichzeitig installierten GoPro-Kameras durch unterschiedliche Stadtteile. Die erfassten „Close-Passing“-Vorfälle, also Situationen in denen Autos gefährlich nahe vorbeifuhren, konnten durch die Sensoren zuverlässig identifiziert werden und deckten sich mit den Videobelegen. In einer weiteren Studie fuhren 15 Fahrradfahrer insgesamt 240 Fahrten, während 2050 kritische Überholvorgänge dokumentiert wurden. Es wurde erkennbar, dass die meisten dieser Zwischenfälle in Straßenabschnitten mit bereits bekannten Unfallhäufungen stattfanden.
Zugleich zeigte die Analyse des ProxiCycle-Datensatzes, dass die gefühlte Gefährlichkeit einer Straße mitunter von den tatsächlichen Daten abweichen kann, was darauf hindeutet, dass eine rein subjektive Kartierung der Radwegsicherheit nicht ausreicht.Der ProxiCycle ist dabei so konstruiert, dass der Akku eine Laufzeit von etwa 12 Stunden bietet und das Gerät für unter 25 US-Dollar hergestellt werden kann. Dies macht eine breite Nutzung in Fahrradgemeinschaften beziehungsweise als Crowdsourcing-Tool denkbar. Fahrradfahrer könnten auf einfache Weise durch das Sammeln und Teilen von ProxiCycle-Daten aktiv an der Verbesserung der Straßeninfrastruktur mitwirken. Neben der Straßenkartierung wären auch Echtzeitwarnungen denkbar, die den Radfahrer informieren, wenn sich ein Fahrzeug zu nahe befindet und so unmittelbare Sicherheitsvorteile bieten.
Eine solche Technologie kann mit der Zeit zu einem kulturellen Wandel führen, bei dem das Fahrrad als Verkehrsmittel nicht von Furcht vor Gefahren geprägt ist, sondern von objektiv abgesicherten, sicheren Radwegen.Die Perspektive, die sich durch die Nutzung von ProxiCycle eröffnet, ist nicht nur lokal begrenzt. Die Entwickler planen größere Studien in verschiedenen Städten weltweit, um die Erkenntnisse zu validieren und die Technologie weiter zu verbessern. Unterschiedliche städtische Verkehrsverhältnisse, Fahrgewohnheiten und Straßenkonfigurationen lassen Rückschlüsse auf die universelle Anwendbarkeit des Systems zu. Möglicherweise können zukünftige Versionen des Sensors weitere Messgrößen erfassen, etwa die Geschwindigkeit des Rades oder die zulässige Höchstgeschwindigkeit der Straße, um komplexere Risikoanalysen zu ermöglichen.
Diese Innovation ist besonders bedeutsam in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem urbane Mobilität und Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnen. Das Fahrrad gilt als Symbol für eine grüne, gesunde und platzsparende Fortbewegung, die die Lebensqualität in Städten steigert. Je sicherer das Radfahren wird, desto mehr Menschen wagen den Umstieg vom Auto aufs Rad. Ein größerer Fahrradanteil entlastet den Straßenverkehr, reduziert Lärm und Emissionen und fördert das Wohlbefinden der Bevölkerung. Die Sicherheit ist daher ein Schlüsselfaktor für den Erfolg dieses Verkehrstrends.
Darüber hinaus eröffnen die von Geräten wie ProxiCycle gesammelten Daten eine Vielzahl von Möglichkeiten für Verkehrsplaner und Behörden. Bessere Datenqualität bedeutet zielgerichtetere Investitionen in Radinfrastruktur, etwa in Form von sicheren Radwegen, baulichen Schutzmaßnahmen oder Verkehrsberuhigung. Auch die Sensibilisierung von Autofahrern könnte verbessert werden, etwa durch Kampagnen, die auf häufige Gefahrenstellen hinweisen.Insgesamt steht der ProxiCycle-Sensor stellvertretend für eine neue Generation smarter Verkehrstechnologien, die durch präzise Messung und datengestützte Analysen die Sicherheit und Attraktivität des Radfahrens erheblich steigern können. Wenn Radfahrer die Möglichkeit erhalten, sich auf objektiven Daten basierende Karten zu bedienen, wird die Entscheidungsfindung unter Sicherheitsgesichtspunkten deutlich verbessert – ein wichtiger Schritt hin zu zukunftsfähigen, lebensfreundlichen Städten.
Das Fahrrad wird so zu einem noch wertvolleren Bestandteil des urbanen Verkehrs und trägt zu einer nachhaltigeren Mobilitätskultur bei.