In weiten Teilen Afrikas, insbesondere in ländlichen Gebieten, haben Mobiltelefone den Alltag der Menschen mehr als verändert. Sie ermöglichen Kommunikation, Nachrichtenaustausch und grundlegende Geschäftstätigkeiten ohne die Notwendigkeit teurer und oft schwer zugänglicher Infrastrukturen. Doch trotz des Siegeszugs von Mobiltelefonen bleiben viele Unternehmen und Geschäftsleute weiterhin isoliert. Es mangelt an etablierten Kanälen, um Geschäftspartner außerhalb des unmittelbaren Netzwerks zu kontaktieren und neue wirtschaftliche Chancen zu erschließen. Hier setzt eine innovative Lösung an, die auf den ersten Blick altmodisch scheint: gedruckte Telefonverzeichnisse, vergleichbar mit den bekannten Gelben Seiten, schaffen wahre Wunder in der Geschäftswelt ländlicher afrikanischer Länder wie Tansania.
Forscher der Cornell University haben zusammen mit lokalen Partnern in Tansania ein umfassendes Projekt gestartet, um herauszufinden, ob ein gedrucktes „Gelbe Seiten“-ähnliches Verzeichnis, das Kontaktinformationen von Unternehmen systematisch verfügbar macht, die Geschäftstätigkeit und den Umsatz der kleinen und mittelständischen Unternehmen steigern kann. Die Bedeutung liegt dabei nicht nur in der Verbesserung des Zugangs zu Kontakten, sondern auch in der Steigerung der allgemeinen Wirtschaftlichkeit und der Nutzung moderner Zahlungssysteme wie Mobile Money. Die Ausgangssituation ländlicher afrikanischer Regionen unterscheidet sich grundlegend von urbanen Zentren in Industrieländern. In den USA oder Europa haben wir jederzeit Zugang zu Online-Datenbanken, Webverzeichnissen und sozialen Medien, die es uns erlauben, nahezu jedes Unternehmen oder Dienstleistungspartner sofort zu finden. In ländlichen Gemeinden Afrikas ist dies kaum möglich.
Viele Geschäftsleute besitzen keine eigenen Webseiten oder digitale Präsenz. Zudem verfügen einfache Mobiltelefone oft nicht über internetfähige Anwendungen, um Kontakte oder Informationen durch eine Suchfunktion aufzurufen. Die Folge ist ein eingeschränkter Zugang zu möglichen Geschäftspartnern und zeitaufwändige, kostenintensive Rechercheprozesse. Ein Bauer, der günstigeres Saatgut oder Düngemittel sucht, muss oftmals weite Strecken zurücklegen, um Händler in Nachbardörfern oder auf Marktplätzen persönlich zu kontaktieren. Das frisst nicht nur Zeit, sondern birgt auch ein finanzielles Risiko, da der Aufwand nicht zwangsläufig zu besseren Angeboten führt.
Die neue Initiative testet die Effektivität gedruckter Telefonverzeichnisse gegen diese Hürde. Für das Pilotprojekt in Tansania wurde zunächst eine genaue Bestandsaufnahme aller lokalen Firmen durchgeführt und mit deren Einverständnis deren Adresse und Telefonnummer gesammelt. Anschließend wurde ein Verzeichnis gestaltet, das gezielt eine Auswahl an Unternehmen enthielt, während andere Unlisted blieben, was einen realen Vergleich der Auswirkungen auf diese zwei Gruppen ermöglichte. Das Resultat überraschte sowohl die Forscher als auch die Unternehmer vor Ort. Die gemeldeten Umsätze der im Verzeichnis gelisteten Unternehmen verdoppelten sich im Vergleich zum Ausgangszustand.
Knapp 104 Prozent Umsatzsteigerung zeugen von einem signifikanten Aufwärtswachstum. Gleichzeitig erhöhte sich die Verkaufsanzahl um etwa 47 Prozent – ein klares Indiz für erhöhte Kundenkontakte und Geschäftsabwicklungen. Ein weiterer wichtiger Effekt zeigte sich in der verstärkten Nutzung von Mobile-Money-Transaktionen, die um 31 Prozent zunahmen. Die Einführung des Verzeichnisses hat also nicht nur den Umsatz gesteigert, sondern auch das moderne Zahlungssystem deutlich attraktiver und zugänglicher gemacht. Doch nicht nur gelistete Firmen profitierten vom Verzeichnis.
Auch benachbarte unlisted Unternehmen konnten einen Anstieg in verschiedenen Geschäftsparametern verzeichnen. Die Anzahl an Textnachrichten stieg um beeindruckende 280 Prozent, die Verkaufszahlen stiegen um 40 Prozent und die Nutzung mobiler Geldtransferdienste nahm um 26 Prozent zu. Diese positiven Spillover-Effekte verdeutlichen, dass der verbesserte Zugang zu Informationen und Geschäftspartnern eine ganze Gemeinschaft wirtschaftlich beflügelt. Der Kern der Verbesserung liegt in der drastischen Reduzierung von Such- und Transaktionskosten. Wo zuvor viel Zeit auf Reisen oder langwierigen mündlichen Netzwerksuchen verwendet wurde, können Unternehmer nun direkt per Mobiltelefon und mithilfe des Verzeichnisses die passenden Kontakte identifizieren und anrufen.
Ein Beispiel aus der Praxis illustriert das eindrücklich: Ein Unternehmer mit einem kaputten Motorrad konnte mithilfe des Verzeichnisses nicht nur einen nahegelegenen Mechaniker finden, sondern auch diesen direkt kontaktieren, woraufhin der Mechaniker zur Reparatur zum Standort des Fahrzeugs reiste. Ohne das Verzeichnis hätte diese kurzfristige Hilfe nicht stattgefunden oder wäre mit erheblicher Mühe verbunden gewesen. Die Ergebnisse zeigen, dass gedruckte Verzeichnisse trotz moderner Technologien in Entwicklungsländern eine enorme Hebelwirkung entfalten können. Sie schließen die Informationslücke, die durch fehlende Internetzugänge und digitale Infrastrukturen entsteht, effektiv. Dennoch denken die Forscher bereits einen Schritt weiter und entwickeln digitale Varianten des Verzeichnisses, die als USSD-Dienste auf Basic-Mobiltelefonen abrufbar sind.
USSD, ein System, das keine Smartphones oder Apps benötigt, ermöglicht die Nutzung über Tastencodes und Textinformationen. Damit können auch Nutzer ohne Internetzugang oder teure Geräte die Vorteile eines digital zugänglichen Verzeichnisses nutzen. Diese fortschrittliche digitale Lösung stellt eine vielversprechende Erweiterung dar, die die Erfolgsfaktoren des gedruckten Verzeichnisses mit der Flexibilität und Reichweite moderner Mobilfunktechnik kombiniert. Somit erweitert sich das Spektrum der erreichbaren Personen und Unternehmen erheblich. Davon dürften nicht nur die lokalen Geschäftsakteure profitieren, sondern auch die gesamte ländliche Wirtschaft, die durch verbesserte Marktverbindungen und Informationszugänge gestärkt wird.
Nicht zuletzt regen die Ergebnisse dazu an, dass politische Entscheidungsträger und Institutionen in Entwicklungsländern solche Programme breit unterstützen sollten. Investitionen in die Erstellung und Verbreitung von Geschäftsverzeichnissen, gedruckt oder digital, fördern wirtschaftliche Teilhabe, Vielfalt und Innovation. Gleichzeitig können Unternehmer durch die erweiterte Marktdurchdringung ihre Geschäftsmodelle ausbauen und nachhaltiger gestalten. Die Zusammenarbeit zwischen akademischen Institutionen wie der Cornell University, lokalen Behörden und Unternehmerverbänden ist ein Paradebeispiel für erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit. Sie kombiniert wissenschaftliche Methoden mit sozialer Verantwortung und weist den Weg zu weiteren innovativen Lösungen für traditionelle Herausforderungen.
Abschließend lässt sich sagen, dass der Einsatz von Telefonverzeichnissen in ländlichen Regionen Afrikas nicht nur ein Nischenprojekt ist, sondern ein kraftvoller Motor für wirtschaftlichen Fortschritt. Er ermöglicht die bessere Nutzung bestehender Technologien, erweitert Geschäftskontakte und führt zu messbaren finanziellen Verbesserungen, die das Leben zahlreicher Menschen positiv verändern. Die Kombination aus bewährten Mitteln und moderner Technologie zeigt anschaulich, wie nachhaltige Entwicklung in strukturschwachen Regionen gelingen kann: Informationszugang und Vernetzung als Grundlage für Wachstum und Wohlstand in einer vernetzten Welt.