Die Ozeane bedecken mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche und stellen eine gewaltige Energiequelle dar. Insbesondere Wasserwellen, die durch Wind, Erdbeben oder andere natürliche Phänomene entstehen, besitzen ein enormes Potential zur Energiegewinnung. Doch während Wind- und Sonnenenergie bereits weit verbreitet sind, steht die Wellenkraft als erneuerbare Energiequelle noch am Anfang ihrer Entwicklung. Interessante Fortschritte machen jedoch Hoffnung, dass auch Tsunamis – die bislang vor allem als zerstörerische Naturereignisse bekannt sind – künftig genutzt werden könnten, um saubere Energie zu erzeugen und gleichzeitig Küstenregionen besser zu schützen.Tsunamis entstehen meist durch starke seismische Aktivitäten auf dem Meeresgrund, wie Erdbeben oder Vulkanausbrüche.
Diese setzen gewaltige Energiemengen frei und erzeugen Wellen, die sich mit enormer Geschwindigkeit und Kraft über große Distanzen ausbreiten. Die Zerstörung, die Tsunamis anrichten können, zeigte sich besonders dramatisch beim Tōhoku-Erdbeben in Japan 2011, als Wellenhöhen von über 25 Metern ganze Küstenabschnitte verwüsteten und verheerende Schäden hinterließen. Wissenschaftler und Ingenieure weltweit arbeiten daher intensiv daran, Möglichkeiten zu finden, solche Katastrophen einzudämmen oder ihre Auswirkungen abzumildern.Eine besonders innovative Herangehensweise stammt von einem Forscherteam unter der Leitung des Mathematikers Usama Kadri von der Cardiff University. Kadri beschäftigt sich mit sogenannten akustisch-gravitativen Wellen (AGWs), die in tiefen Meeresregionen entstehen und sich mit hoher Geschwindigkeit unter Wasser ausbreiten.
Anders als die bekannten Oberflächenwellen des Ozeans, die sich vergleichsweise langsam bewegen, laufen AGWs tausende Meter pro Sekunde. Interessant ist, dass diese beiden Wellentypen unter bestimmten Bedingungen miteinander interagieren und Energie austauschen können – ein Phänomen, das als Triadresonanz bezeichnet wird.Triadresonanz beschreibt einen Zustand, in dem drei Wellen – beispielsweise zwei akustisch-gravitative und eine Oberflächenwelle – ihre Frequenzen und Wellenlängen so aufeinander abstimmen, dass sie effektiv Energie transferieren können. Kadri sieht darin ein enormes Potential, um die zerstörerische Energie eines Tsunamis schon weit vor der Küste zu reduzieren. Seine Vorstellung ist, zwei speziell erzeugte AGWs gezielt gegen einen herannahenden Tsunami zu lenken, um diesen in Resonanz mit den AGWs zu bringen.
Dadurch würde ein Energieaustausch stattfinden, bei dem die immense Kraft des Tsunamis auf die AGWs übertragen, großflächiger verteilt und somit deutlich abgeschwächt wird.Obwohl es sich zunächst nach Science-Fiction anhört, konnten Kadri und sein Team diesen Effekt in Laborversuchen nachweisen. Die Praxis stellt aber vor allem technische Herausforderungen. So müssten extrem starke und präzise gesteuerte akustisch-gravitative Wellen erzeugt und in großer Tiefe ins Meer geschickt werden – eine Aufgabe, die derzeitige Technik an ihre Grenzen bringt. Zudem erfordert das genaue Abstimmen auf die Frequenzen von Tsunamis eine detaillierte und schnelle Datenerfassung, die heute noch nicht möglich ist.
Umsicht ist ebenfalls geboten, denn falsche Timing oder falsche Frequenzen könnten nicht abschwächend, sondern im Gegenteil verstärkend auf die Wellen wirken – und damit das Problem verschärfen.Neben der Anwendung zur Tsunamibekämpfung birgt die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Wellentypen aber ein weiteres spannendes Potential: die Verbesserung der Wellenenergienutzung. Die Energie in den Meereswellen weltweit wird auf etwa 50 bis 80 Trillionen Watt geschätzt – das sind zwei- bis dreimal so viel wie der gesamte jährliche weltweite Energieverbrauch. Die konventionelle Technik zur Umwandlung dieser Energie gestaltet sich aber schwierig. Besonders in tiefem Wasser ist es bislang nur begrenzt möglich, die Kraft der Wellen effizient zu ernten.
Hier setzt Kadri an: Durch das gezielte Erzeugen und Steuern von AGWs könnte man Oberflächenwellen verstärken und so die Ernte von Wellenenergie erheblich optimieren. In Experimenten konnte bereits gezeigt werden, dass sich durch Triadresonanz die Höhe der Oberfläche stark erhöhen lässt – um über 30 Prozent. Dies würde bedeuten, dass Schwungräder, Generatoren oder andere Wellenenergiewandler deutlich effizienter arbeiten könnten. Darüber hinaus könnte das Innovationskonzept helfen, den Energiebedarf zur Erzeugung der AGWs selbst möglichst emissionsarm zu gestalten, was die Nachhaltigkeit der gesamten Methode weiter verbessern würde.Ein praktisches Beispiel aus der Vergangenheit ist der Pelamis Wave Energy Converter, ein fahrzeuggestützter Wellenkraftkonverter, der vor der Küste der Orkney-Inseln in Schottland in Betrieb war.
Trotz großer Hoffnung für die Technik musste das Unternehmen 2014 wegen finanzieller Schwierigkeiten die Arbeit einstellen. Dieses Beispiel zeigt, wie anspruchsvoll es ist, die komplexen physikalischen Vorgänge der Wellenenergie in stabile und wirtschaftlich tragfähige Technologien zu überführen. Dennoch ist wissenschaftlicher Fortschritt im Bereich akustisch-gravitativer Wellen und deren Einfluss auf Oberflächenwellen ein vielversprechender Schritt in Richtung eines nachhaltigeren Umgangs mit maritimer Energie.Neben den potenziellen Vorteilen für die Energiegewinnung ist es jedoch von großer Bedeutung, mögliche ökologische Folgen im Auge zu behalten. Die Ozeane sind ein komplexes System, in dem Wellen und Strömungen Nährstoffe und Kohlendioxid transportieren und zahlreiche marine Lebensformen beeinflussen.
Die Manipulation von Wellenenergie könnte daher unbeabsichtigte Effekte auf das Ökosystem haben. Kadri weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Tatsache, dass Energie scheinbar „verloren“ geht, nicht bedeutet, dass sie ungenutzt in der Umwelt verbleibt. Die langfristigen Auswirkungen solcher Eingriffe müssen gründlich erforscht werden, bevor eine großflächige Umsetzung erfolgt.Die Möglichkeiten, Tsunamis durch eine gezielte Steuerung von Wellen zu bremsen oder sogar in nutzbare Energie umzuwandeln, stellen den Beginn einer neuen wissenschaftlichen Ära dar. In Zukunft könnten angrenzende Küstenregionen besser vor verheerenden Tsunami-Auswirkungen geschützt werden und gleichzeitig könnten die gewaltigen, bisher ungenutzten Energiereserven der Ozeane erschlossen werden.