Im Frühjahr 2025 sorgte eine polizeiliche Aktion von U.S. Immigration and Customs Enforcement (ICE) in Albion, New York, für Aufsehen. Bei einem gezielten Einsatz wurden 14 farmarbeitende Migranten festgenommen, die sich aktiv an einem historischen Versuch beteiligten, landesweit Gewerkschaftsrechte für landwirtschaftliche Arbeitnehmer durchzusetzen. Die Betroffenen stammen überwiegend aus Mexiko und Guatemala und sind ganzjährige Beschäftigte der Familie Lynn-Ette & Sons Farms, einem landwirtschaftlichen Betrieb in der Region Kent, New York.
Diese Firma befindet sich seit mehreren Jahren in einem erbitterten Streit mit den Arbeitern, die sich für eine gewerkschaftliche Vertretung einsetzen. Die Razzia, die an einem Freitagmorgen gegen 9:30 Uhr begann, erfolgte auf überraschende Weise. Bundesbeamte in zivilisierten Fahrzeugen ohne sichtbare Behördenkennzeichen stoppten einen Bus mit den Arbeitnehmern und nahmen diese ohne Vorwarnung fest. Augenzeugen berichten, dass die Einsatzkräfte eine Liste mit den Namen der meisten Personen an Bord bei sich hatten, was die gezielte Natur der Aktion unterstreicht. Diese Umstände führen zu Befürchtungen, dass insbesondere öffentlich als pro-gewerkschaftlich bekannte Arbeiter im Visier standen.
Die Landwirte sowie der New York State Vegetable Growers Association sind seit der Einführung des Farm Laborers Fair Labor Practices Act im Jahr 2019 in Opposition zu den neuen Arbeitnehmerrechten. Dieses Gesetz stärkt die Rechte von Saison- und Ganzjahresarbeitern, sich für eine gewerkschaftliche Vertretung einzusetzen. Dennoch haben mehrere landwirtschaftliche Betriebe, darunter Lynn-Ette & Sons, gemeinsam mit dem Bauernverband, versucht, diese Rechte durch gerichtliche Schritte auszuhöhlen oder zu kippen. Bisher blieben ihre Bemühungen vor Gericht oft erfolglos. Nach dem Urteil von 2021 und einer weiteren gescheiterten Berufung im Bundesberufungsgericht wird der Rechtsstreit fortgesetzt.
Besonders hitzig ist der Konflikt um die Bildung von Verhandlungseinheiten, die Saison- und Ganzjahresarbeiter betreffen. Während die temporären Saisonkräfte oft unter speziellen Visa-Regelungen (H-2A Visa) arbeiten, fordert die Gewerkschaft United Farm Workers (UFW) eine eigenständige Vertretung ganzjähriger Beschäftigter. Die Festgenommenen bei Lynn-Ette sind Teil einer kleinen Gruppe von rund 20 ganzjährigen Beschäftigten, die sich in einer eigenen Verhandlungseinheit organisieren wollen. Mindestens einige von ihnen haben sich öffentlich für die UFW und eine gewerkschaftliche Repräsentanz ausgesprochen. Elizabeth Strater, Direktorin für strategische Kampagnen bei der UFW, machte deutlich, wie besorgniserregend die aktuelle Entwicklung für die Arbeiterinnen und Arbeiter ist: „Wir sind besorgt über die scheinbare gezielte Verfolgung öffentlich pro-gewerkschaftlicher Arbeitnehmerführer.
“ Viele Arbeiter reagieren angesichts der Festnahmen mit großer Angst und verändern bereits ihr Verhalten, um mögliche weitere Abschiebungen oder Festnahmen zu vermeiden. Einfache Alltagshandlungen wie gemeinsames Einkaufen werden wegen der Furcht vor weiteren Razzien vermieden. Die Betroffenen sind in ICE-Einrichtungen in New York festgehalten, darunter das Bundesgefängnis Buffalo in Batavia sowie das Bezirksgefängnis Niagara County in Lockport. Innerhalb von mehr als 72 Stunden nach der Razzia blieben genaue Aufenthaltsorte und die rechtlichen Zustände der meisten Detaillierten unklar. Die Anwaltschaft hat bisher erst wenige Häftlinge erreichen können, und nicht alle sind in den ICE-Systemen registriert.
Diese Unsicherheit verstärkt den Druck auf die Familien und die lokale Gemeinschaft, die um die Freilassung der Verwanden kämpfen. Die Sprecherin von ICE betont unterdessen offiziell, dass die Festnahmen nicht das Ergebnis von alltäglicher Vollzugspraxis seien, sondern auf gezielten Ermittlungen basieren. Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass bei den Festgenommenen mehrere Personen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung sind und einige mit laufenden Abschiebeverfahren konfrontiert sind. Der landwirtschaftliche Betrieb Lynn-Ette & Sons selbst distanzierte sich öffentlich von der Razzia. Das Unternehmen erklärte, von dem Einsatz keine Kenntnis gehabt zu haben und forderte mehr Transparenz und rechtsstaatliche Verfahren.
Gleichzeitig wiesen die Betreiber die Anschuldigungen zurück, die Festnahmen seien eine Vergeltungsmaßnahme gegen die Gewerkschaftsaktivitäten der Belegschaft. Interessanterweise stellt die Firma in ihrer Stellungnahme klar, dass die Festgenommenen nicht offiziell Teil der tariflichen Verhandlungseinheit seien. Damit scheint das Unternehmen gezielt zu betonen, dass es sich nicht um Einfitsgegner gegenüber den direkt organisierten Arbeitnehmern handele, sondern um eine andere Personengruppe. Es bleibt jedoch fraglich, wie viel Einfluss das Management auf die Festnahmeaktion hatte, zumal der Konflikt mit der UFW bereits in der Vergangenheit von gegenseitigen Anschuldigungen geprägt war. Der Vorgang reiht sich ein in eine Reihe von Maßnahmen der Regierung gegen Immigranten und Gewerkschafter.
Im März 2025 wurde etwa eine Mutter mit ihren drei Kindern bei einem Einsatz in Sackets Harbor, New York, festgesetzt und zum Teil nach Texas gebracht. Auch in Buffalo kam es vor kurzem zu Festnahmen ohne erkennbare Vorstrafen. Diese Entwicklungen werfen die Frage auf, inwieweit Migrationspolitik als Mittel zur Schwächung gewerkschaftlicher Bewegungen genutzt wird. Experten wie Elizabeth Strater vermuten, dass es zwei Hauptwege gibt, wie die Migrationsbehörden in solche Konflikte eingreifen: Entweder informieren Arbeitgeber oder Einzelpersonen ICE über vermeintliches „illegalen“ Status bestimmter Arbeiter oder die Behörde agiert unabhängig auf eigenen Entscheidungen basierend, manchmal mit politischer Agenda. Der regionalpolitische Kontext verschärft die Lage zusätzlich.
Viele der betroffenen Landkreise stimmten bei den Präsidentschaftswahlen für den ehemaligen Präsidenten Donald Trump, dessen Administration eine harte Linie bei der Abschiebung verfolgte. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft – inklusive Bauernhöfe und Milchbetriebe – auf die Arbeit von Migrantinnen und Migranten angewiesen. Dieses Paradox spiegelt sich im Spannungsfeld zwischen politischen Mehrheiten und wirtschaftlicher Realität wider. Die fortdauernden Arbeitskämpfe bei Lynn-Ette verdeutlichen die Herausforderungen im ländlichen Amerika, wo soziale Gerechtigkeit, Arbeitsrecht und Einwanderungspolitik auf komplexe Weise miteinander verwoben sind. Die United Farm Workers demonstriert in diesem Zusammenhang weiter ihre Entschlossenheit, für bessere Bedingungen und Schutz der Rechte von landwirtschaftlichen Beschäftigten zu kämpfen.
Die Pläne für die Anerkennung eines eigenen tariflichen Verhandlungskreises für ganzjährige Arbeiter bleiben bestehen, trotz der jüngsten Unsicherheit. Die Festnahmen stellen für die Gewerkschaft jedoch einen Rückschlag dar und erschweren die Organisation vor Ort erheblich. Rechtsexperten und Aktivisten verfolgen aufmerksam, ob die US-Behörden künftig häufiger solche gezielten Razzien gegen engagierte Arbeitnehmer durchführen und welche Auswirkungen dies auf den Arbeitsmarkt und die Rechte der Migranten haben wird. Im weiteren Kontext kann der Fall als Symptom einer globalen Debatte über die Rechte von Arbeitnehmern in prekären Beschäftigungsverhältnissen gesehen werden, besonders wenn Einwanderungspolitik und Arbeitsbeziehungen sich überschneiden. Der Kampf um faire Löhne, sichere Arbeitsbedingungen und das Recht auf kollektive Interessenvertretung ist an vielen Fronten noch lange nicht entschieden.
Die bevorstehenden Monate werden zeigen, ob der Rechtsstreit um die Farmarbeiterrechte in New York zur Wendung kommt oder ob die Festnahmen die Position der Betroffenen und ihrer Gewerkschaft weiter schwächen. Klar ist: Das Thema bleibt hochbrisant und für den Schutz der Menschenwürde unverzichtbar.