Südkorea zählt zu den wirtschaftlich dynamischsten Ländern Asiens, steht jedoch seit Jahren vor einer besonderen Herausforderung an den Finanzmärkten, dem sogenannten „Korea Discount“. Dieser Begriff beschreibt die beständig niedrigeren Bewertungen südkoreanischer Unternehmen im Vergleich zu ihren globalen Wettbewerbern. Verantwortlich hierfür sind vor allem Unternehmensstrukturen, die von familiengeführten Großkonzernen geprägt sind, welche häufig die Interessen anderer Aktionäre vernachlässigen. Vor dem Hintergrund dieser Problematik hat der aktuelle Präsidentschaftsfavorit Lee Jae-myung angekündigt, entschlossen gegen diese Marktverzerrungen vorzugehen und die Situation grundlegend zu verändern. Sein Ziel ist es, das Vertrauen von inländischen wie internationalen Anlegern gleichermaßen zu stärken und die südkoreanische Börse als attraktiven und fairen Handelsplatz zu etablieren.
Der sogenannte Korea Discount hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, da die niedrigeren Aktienbewertungen Investitionen hemmen und somit das wirtschaftliche Wachstum beeinträchtigen können. Bei genauer Betrachtung lassen sich die Ursachen vor allem in der dominanten Rolle von familienkontrollierten Konglomeraten, den sogenannten Chaebols, finden. Sie kontrollieren den Großteil der südkoreanischen Industrie und neigen dazu, ihre eigenen Interessen oft vor die Bedürfnisse der Minderheitsaktionäre zu stellen. Dies führt zu einer geringeren Transparenz und zum Teil auch zum Missbrauch von Unternehmensentscheidungen, was wiederum das Risiko und Unbehagen von Investoren erhöht. Lee Jae-myung, der der liberalen Demokratischen Partei vorsteht, hat daher vorgeschlagen, das bestehende Handelsgesetz erneut zu überarbeiten und die gesetzliche Verantwortung der Vorstandmitglieder zu stärken.
Ziel ist es, dass diese ihre Pflichten gegenüber allen Aktionären wahrnehmen – nicht nur gegenüber der kontrollierenden Familie. Bereits im März wurde eine Revision des Handelsgesetzes vom Parlament verabschiedet, die die Treuepflicht der Vorstandsmitglieder auf die Wahrung der Interessen von Minderheitsaktionären ausdehnte. Doch diese Reform wurde von Südkoreas amtierendem Präsidenten Han Duck-soo mit dem Argument abgelehnt, dass sie unnötige Verwirrung stiften und das Management in seiner Handlungsfähigkeit einschränken könne. Auch die starken Wirtschaftsverbände des Landes zeigten sich kritisch. Der ursprüngliche Plan Südkoreas, allein auf freiwillige Maßnahmen zur Verbesserung der Aktionärswerte zu setzen, wurde von vielen Analysten und Investoren als unzureichend bewertet.
Eine rechtliche Verankerung der Verantwortung für Unternehmensführung gilt als effizienterer Ansatz, um nachhaltige Veränderungen zu erzielen und das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen. Lee möchte deshalb nicht nur alte Vorschläge wiederbeleben, sondern ein umfassendes Paket an Reformen vorstellen, um die Corporate Governance im Land grundlegend zu verbessern. Besonders ambitioniert ist Lees Ziel, die Marktkapitalisierung des südkoreanischen Aktienindex KOSPI zu verdoppeln. Dies ist ein starkes Signal, das vor allem die etwa 14 Millionen Kleinanleger, die in Südkorea liebevoll als „Ameisen“ bezeichnet werden, ansprechen soll. Diese kleinen, jedoch sehr aktiven Investoren spielen eine bedeutende Rolle im heimischen Aktienmarkt und erwarten von einer Regierung, dass sie sich um fairen und stabilen Handelsbedingungen bemüht.
Ein weiterer Bestandteil seines Programms ist ein klarer Fahrplan, um den Status des südkoreanischen Aktienmarktes bei global bedeutenden Indexanbietern wie Morgan Stanley Capital International (MSCI) auf das Niveau eines entwickelten Marktes anzuheben. Dieser Statuswechsel könnte die Aufmerksamkeit und Teilnahme internationaler Investoren deutlich verbessern und das Kapitalangebot in Südkorea ausweiten. Die südkoreanische Börse nahm im vergangenen Jahr eine wichtige Maßnahme, indem sie nach fünf Jahren ein Verbot für Leerverkäufe aufhob – ein Schritt, den MSCI zuvor als Hindernis für ausländische Investitionen kritisierte. Trotz dieser Fortschritte blieb die wirtschaftliche Lage durch politische Unsicherheiten, darunter auch durch die Amtsenthebung des früheren Präsidenten Yoon Suk Yeol, sowie durch äußere Faktoren wie die Handelsspannungen mit den USA angespannt. Dies trug dazu bei, dass der KOSPI-Index unter Druck geraten ist.
Lee Jae-myung, der selbst in der Vergangenheit als aktiver Aktieninvestor bekannt war, kündigte zudem verstärkte Maßnahmen gegen Manipulationen und andere unfaire Praktiken im Aktienhandel an. Solche Eingriffe schaden dem Marktfundament und untergraben das Vertrauen der Anleger. Die jüngsten Umfragen zeigen, dass Lee mit über 50 Prozent deutlich vor seinem konservativen Konkurrenten Kim Moon-soo liegt, der auf etwa 12 Prozent kommt. Diese starke politische Position gibt Lee die nötige Rückendeckung, seine Reformagenda kraftvoll umzusetzen. Abschließend lässt sich feststellen, dass Südkorea an einem Wendepunkt steht.
Mit Lees Versprechen, den „Korea Discount“ zu beenden und eine Ära des „Korea Premium“ einzuleiten, könnte das Land den Grundstein für eine modernere und transparentere Unternehmensführung legen. Dies ist entscheidend, um die Wettbewerbsfähigkeit Südkoreas auf den globalen Finanzmärkten zu steigern und nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum zu fördern. Die kommenden Monate werden zeigen, wie das politische und wirtschaftliche Establishment auf diese ehrgeizigen Vorhaben reagiert und ob Südkorea sich tatsächlich von den langjährigen Herausforderungen des Korea Discounts befreien kann.