Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in den letzten Jahren zu einem der spannendsten und vielseitigsten Forschungsgebiete entwickelt. Trotz aller Fortschritte stehen Wissenschaftler und Entwickler vor enormen Herausforderungen. Im Gegensatz dazu gilt die Physik oft als eine relativ klare und straight-forward Disziplin, die auf mathematischen Prinzipien basiert und seit Jahrhunderten fundamentales Wissen über die natürliche Welt liefert. Warum ist es aber so, dass KI als schwer zu meistern empfunden wird, während Physik als vergleichsweise simpel erscheint? Diese Frage hat sich auch der theoretische Physiker Daniel A. Roberts in seiner Arbeit „Why is AI hard and Physics simple?“ gestellt und überraschende Zusammenhänge aufgedeckt, die einen neuen Blick auf beide Felder ermöglichen.
Die Physik gilt deshalb als relativ „einfach“, weil sie auf simplen Grundprinzipien und Naturgesetzen basiert, die sich oft sehr elegant in mathematischen Formeln fassen lassen. Mit wenigen fundamentalen Postulaten kann ein großes Spektrum an Phänomenen beschrieben werden – sei es die Bewegung von Planeten, das Verhalten von Licht oder die Struktur von Atomen. Diese sparsamen Modelle, die Roberts anspricht, sind durch ihre hohe Effizienz und Generalisierbarkeit ausgezeichnet. Das bedeutet, dass Forscher mit vergleichsweise wenig Information komplexe Systeme präzise vorhersagen und verstehen können. Im Gegensatz dazu funktioniert künstliche Intelligenz, insbesondere das maschinelle Lernen, auf einer ganz anderen Grundlage.
KI-Systeme lernen aus Daten – und diese Datenmenge ist oft riesig, komplex und heterogen. Anders als in der Physik existieren bei KI keine klar definierten, universellen Gesetze, die alle Situationen regeln. Stattdessen basieren die Algorithmen auf statistischen Modellen und neuronalen Netzen, die eine enorme Anzahl an Parametern enthalten. Die Herausforderung besteht also darin, aus der Datenfülle die relevanten Muster herauszufiltern und so ein Modell zu entwickeln, das nicht nur die Trainingsdaten gut beschreibt, sondern auch auf neue Daten verallgemeinerbar ist. Diese Komplexität, kombiniert mit der fehlenden theoretischen Basis ähnlich der Physik, macht KI zu einer schwierigen Disziplin.
Hinzu kommt, dass das systematische Verständnis darüber, wie neuronale Netze genau funktionieren und warum sie bestimmte Aufgaben erfolgreich meistern, bisher noch lückenhaft ist. Man spricht deswegen von einer „Black Box“, deren innere Funktionsweisen teilweise nur schwer durchschaubar sind. Dies erschwert das Design, die Optimierung und vor allem die Erklärung von KI-Modellen, was nicht zuletzt auch ethische und praktische Fragestellungen aufwirft. Ein zentraler Punkt, den Roberts hervorhebt, ist das Prinzip der Sparsity – also Sparsamkeit – das sowohl in der Physik als auch im maschinellen Lernen eine große Rolle spielt. In der Physik zeigt sich Sparsity darin, dass nur wenige grundlegende Variablen oder Parameter nötig sind, um ein komplexes physikalisches System zu beschreiben.
In der KI ist es wünschenswert, dass Modelle ebenfalls sparsam sind, um Überanpassung zu vermeiden und robust zu bleiben. Allerdings ist es in der Praxis oft schwierig, sparsame Modelle zu entwickeln, da die Daten sehr vielfältig und hochdimensional sind und die Auswahl der entscheidenden Merkmale eine große Herausforderung darstellt. Die Aufforderung von Daniel Roberts, dass theoretische Physiker einen aktiveren Beitrag zur KI-Forschung leisten sollten, um mit ihrer Erfahrung in der Modellbildung und der Suche nach sparsamen Gesetzmäßigkeiten neue Impulse zu geben, ist eine interessante Perspektive. Physiker sind es gewohnt, komplexe Systeme durch einfache Prinzipien zu beschreiben und könnten dabei helfen, die innere Struktur von KI-Modellen besser zu verstehen und weiterzuentwickeln. Dies könnte den Weg zu einer „physikalisch inspirierten“ KI-Theorie ebnen, die sowohl Effizienz als auch Transparenz verbessert.
Darüber hinaus gibt es bereits Fortschritte und Anstrengungen, KI mit physikalischen Modellen zu kombinieren, beispielsweise in der Physik-gestützten KI, bei der physikalisches Vorwissen verwendet wird, um die Leistungen von Lernalgorithmen zu verbessern. Durch die Einbindung von Naturgesetzen können Datenmengen reduziert und Interpretierbarkeit erhöht werden. Dies zeigt, wie eng die beiden Disziplinen zukünftig noch miteinander verflochten sein könnten. Ein weiterer Grund für die scheinbare „Einfachheit“ der Physik liegt darin, dass sie sich mit natürlichen, reproduzierbaren Prozessen beschäftigt. Die Welt der KI ist dagegen von Menschen gemacht und dynamisch, oft mit unvorhersehbaren Verhaltensweisen, die nicht notwendigerweise auf starren Regeln basieren.
Die ständige Veränderung und Weiterentwicklung von Anwendungen, Datenquellen und Techniken führt zu einem fortwährenden Lern- und Anpassungsprozess, der neues Wissen und flexible Methoden erfordert. Zudem bringt die Interdisziplinarität der KI ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich. Sie vereint Informatik, Statistik, Neurowissenschaften und viele andere Bereiche. Diese breite Vernetzung macht die Domäne durch ihre Vielfalt zwar faszinierend, aber auch schwer greifbar. Physik dagegen hat eine klar strukturierte Forschungslandschaft, die auf etablierten Theorien und Methoden fußt.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Herausforderung der Datensätze in der KI. Anders als physikalische Experimente, die meist kontrolliert und reproduzierbar sind, basieren KI-Modelle auf realen, oft unvollständigen, verrauschten und vielfältigen Daten aus der realen Welt. Die Qualität, Quantität und Art der Daten haben enormen Einfluss auf die Leistung eines KI-Systems. Dies erzeugt eine zusätzliche Ebene an Komplexität, die in der Physik meist nicht in dem gleichen Maße gegeben ist. Auch die Art der Problemstellungen unterscheidet sich fundamental.
Physik sucht nach universellen Gesetzen, die konsequent und unveränderlich gelten. KI hingegen entwickelt individuelle Lösungen für stark spezialisierte Anwendungsfälle, die sich laufend ändern können. Das führt zu unterschiedlichen Anforderungen an Theorie und Praxis. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die scheinbare Leichtigkeit der Physik und die enorme Komplexität der KI tief verwurzelt sind in den jeweiligen methodischen, konzeptuellen und praktischen Rahmenbedingungen. Die Sparsity als verbindendes Prinzip bietet jedoch eine spannende Brücke, um beide Disziplinen näher zusammenzubringen und voneinander zu lernen.
Die Zukunft der künstlichen Intelligenz wird möglicherweise davon profitieren, wenn Physiker mit ihrem methodischen Vorgehen und ihrem Verständnis für fundamentale Prinzipien stärker in die KI-Forschung eingebunden werden. Auf diese Weise können neue Theorien entstehen, die letztlich dazu beitragen, KI nicht nur leistungsfähiger, sondern auch besser verständlich und kontrollierbar zu machen. Dies wäre ein großer Schritt, um die Herausforderungen, die KI heute noch so schwierig machen, zu meistern und die Technologie nachhaltiger in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zu verankern.