Die Welt der Chemie erlebt einen bemerkenswerten Fortschritt mit der erstmaligen erfolgreichen Synthese des neutralen Stickstoff-Allotrops Hexanitrogen C2h-N6. Stickstoff, eines der häufigsten Elemente in der Erdatmosphäre, ist in seiner molekularen Form N2 stabil und inert, was seine Rolle als Schutzgas und Ausgangsstoff für zahlreiche chemische Prozesse unterstreicht. Seit langem träumen Wissenschaftler jedoch davon, neutral Moleküle mit höherer Anzahl an Stickstoffatomen, sogenannte polynitrogene Allotrope, herzustellen und zu isolieren. Diese Verbindungen versprechen eine extrem hohe Energiedichte und könnten neue Wege für saubere Energiespeicherung und leistungsfähige Sprengstoffe eröffnen. Die Synthese von Hexanitrogen C2h-N6 stellt dieses lange angestrebte Ziel nun greifbar nahe.
Die Bedeutung von polynitrogenen Verbindungen liegt in ihrer Fähigkeit, bei der Zerlegung ausschließlich unschädlichen molekularen Stickstoff freizusetzen. Im Vergleich zu konventionellen Energiespeichern wie Wasserstoff oder Ammoniak bietet besonders der Mehrfach-Stickstoff-Verbund eine deutlich höhere Energiekonzentration pro Masse. Das birgt enormes Potenzial, um energieeffiziente und umweltfreundliche Technologien zu entwickeln. Trotz dieser Vorteile gilt die Herstellung neutraler, größerer polynitrogener Moleküle als schwierig und aufgrund ihrer hohen Reaktivität als nahezu unmöglich. In der Vergangenheit war nur N2 als natürlicher Stickstoff-Allotrop bekannt.
Andere neutrale Stickstoffformen wie der Azid-Radikal (•N3) konnten zwar in bestimmten experimentellen Anordnungen nachgewiesen werden, blieben jedoch äußerst kurzlebig. Ebenso wurde N4 nur indirekt durch Massenspektrometrie angedeutet, ohne klare strukturelle Zuordnung. Die Synthese neutraler Stickstoffmoleküle jenseits von N2 gestaltete sich als eine Kombination aus chemischem Wunschdenken und theoretischen Vorhersagen. Mit dem neuen Ansatz wurde nun erstmals ein hexanitriges Molekül im Gasphasenreaktor bei Raumtemperatur erzeugt. Das Schlüsselverfahren bestand darin, festes Silberazid mit gasförmigem Chlor- oder Brom zu reagieren und die entstehenden Produkte unmittelbar in einer argonbasierten Matrix bei kryogenen Temperaturen (10 Kelvin) einzufangen.
Dort konnte das neue Molekül mittels hochauflösender Infrarot- und UV-Vis-Spektroskopie präzise charakterisiert werden. Zusätzlich bestätigten Isotopen-Labeling-Experimente mit ^15N die Zusammensetzung und Struktur. Die isolierte Verbindung mit C2h-Symmetrie, bekannt als Hexanitrogen, ist ein acyclisches Molekül bestehend aus zwei miteinander verbundenen Azid-Gruppen, deren Bindungen und Elektronenverteilung theoretisch mittels modernster ab initio-Berechnungen analysiert wurde. Die Struktur unterscheidet sich deutlich von ringförmigen oder cyclischen Stickstoffmolekülen, bei denen nur geringe kinetische Stabilitäten prognostiziert wurden, und lässt sich durch Doppel- und Einfachbindungen beschreiben, wobei die mittlere Bindung eine zentrale Rolle für die Stabilität einnimmt. Die gemessenen Schwingungsfrequenzen in der Infrarotspektroskopie stimmen hervorragend mit den theoretischen Computern vorhersagen überein, welche auf Methoden wie CCSD(T) und DFT basieren.
Die Analyse der Elektronendichte zeigt, dass die Elektronen im Molekül so verteilt sind, dass unerwünschte schnelle Zerfallswege minimiert werden. Ungewöhnlich ist die relativ hohe Aktivierungsbarriere zur Zersetzung in drei N2-Moleküle, was Hexanitrogen zu einem metastabilen Molekül macht, das bei tiefen Temperaturen selbständig mehrere Stunden überlebt. Neben der Matrixisolation konnte die Forschergruppe das Hexanitrogen auch in reiner Form bei Flüssigstickstofftemperatur (77 Kelvin) als dünner Film darstellen. Die beobachtete Stabilität unter diesen Bedingungen ist beachtlich, vor allem im Vergleich zu anderen polynitrogenen Spezies, die meist nur in äußerst kurzlebigen Zuständen existieren. Diese Befunde ebnen den Weg für weitere Anwendungen und intensivere Studien bezüglich der Lagerung und Handhabung dieser Verbindungen.
Die energetischen Eigenschaften des neuen Stickstoff-Allotrops wurden ebenfalls berechnet. Bei der Zersetzung wird eine Energiemenge freigesetzt, die deutlich über der von herkömmlichen, auf Kohlenstoff basierenden Sprengstoffen wie TNT oder HMX liegt. Die Dichte des kondensierten Hexanitrogens wird auf etwa 1,51 Gramm pro Kubikzentimeter geschätzt, was zu einer erwarteten Detonationsgeschwindigkeit von bis zu 8.930 Metern pro Sekunde führt. Das spricht dafür, dass diese Verbindung auch als neuartiges hochenergetisches Material großes Potenzial haben könnte.
Die Synthese birgt jedoch technische Herausforderungen und Sicherheitsrisiken, da Silberazid und Halogenazide als Ausgangsstoffe äußerst explosiv und sensibel gegenüber mechanischen oder thermischen Einwirkungen sind. Die Experimente wurden daher unter streng kontrollierten Laborbedingungen mit kleinen Mengen durchgeführt, um jegliche Unfallgefahren zu vermeiden. Die Entdeckung von neutralem Hexanitrogen als stabilem Molekül widerlegt somit das lange vorherrschende Dogma, dass neutrale polynitrogene Moleküle jenseits von N2 nicht isolierbar seien. Gleichzeitig öffnet sich ein neues Forschungsfeld, das Möglichkeiten für die Entwicklung von energiereichen Materialien mit umweltfreundlichen Abbauprodukten bietet. Die Kombination aus experimenteller Synthese, spektroskopischer Charakterisierung und theoretischer Modellierung liefert ein anschauliches Bild von Struktur, Stabilität und energetischem Potenzial dieser faszinierenden Zinnvollverbindung.
Langfristig könnten spezielle Stickstoffallotrope wie C2h-N6 insbesondere in Bereichen wie Energiespeicherung, Raketentreibstoff, explosiven Stoffen oder sogar in der Materialwissenschaft Anwendung finden. Die Herausforderung bleibt, geeignete Handhabungs- und Lagerbedingungen zu etablieren, damit die enorme Energie sicher genutzt werden kann. Die Forschung in der gezielten Steuerung der molekularen Struktur und die Weiterentwicklung der Synthesemethoden wird dabei entscheidend sein. Zusammenfassend stellt die Vorbereitung von neutralem Hexanitrogen C2h-N6 einen bedeutenden Fortschritt in der Chemie dar, der die Grenzen des bisher für möglich Gehaltenen verschiebt. Mit seiner Kombination aus hoher Energiedichte, relativer Stabilität und klaren Charakterisierungsmethoden schafft das Molekül die Basis für zukünftige Innovationen und legt den Grundstein für eine neue Klasse von Stickstoff-basierten Materialien.
Die kommenden Jahre versprechen spannende Entwicklungen und weitere Durchbrüche bei der Suche nach neuen, leistungsstarken und gleichzeitig umweltverträglichen Energiespeichern.